Kohl verkauft Ostbagger in Indien

Auftrag für ostdeutschen Takraf-Konzern/ Entwicklungshilfe industriefreundlicher/ Dissens über Atomwaffen  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Neu Delhi (taz) – Der Kanzler auf Verkaufstour: Bundeskanzler Helmut Kohl will auf seiner Asientour möglichst viel deutsche Wertarbeit unter die Leute bringen. In Indien, der ersten Station des zweiwöchigen Asienbesuchs präsentierte er sich als Schirmherr eines Vorvertrags für ein Braunkohle- Projekt im südindischen Staat Tamil Nadu. Mit einem Anteil von etwa 1,4 Milliarden Mark an den Gesamtkosten von 4,4 Milliarden Mark wird dies die größte deutsche Privatinvestition in Indien sein. Investoren sind die vier Konzerne Siemens, der Baggerhersteller Takraf, MAN GHH und die Deutsche Babcock. Siemens ist auch der deutsche Partner in einem Gemeinschaftsunternehmen mit der größten indischen Industriegruppe Tata für die Errichtung eines Kombi-Kraftwerks in Nagathone im Staat Maharshtra, für das im Beisein des Kanzlers eine Absichtserklärung unterzeichnet wurde.

Kohl leitete bei seinem Besuch in Neu-Delhi demonstrativ eine umfangreiche und hochrangige Industriedelegation. Für die Konzernbosse – unter ihnen Siemens- Chef Heinrich von Pierer – war der Kanzler Tag und Nacht erreichbar. Kohl ließ sich im gleichen Hotel wie seine Delegation einquartieren, obwohl er als Regierungschef Gast im Präsidenten-Palast hätte sein können.

In Diskussionen mit indischen Industriellen hatte der Kanzler betont, daß Deutschland wieder eine wichtigere Rolle im indischen Außenhandel spielen wolle. Deutschland war nach den USA lange Indiens wichtigster Handelspartner im Westen. In den vergangenen Jahren haben die Schweiz, Japan und Großbritannien die deutsche Industrie in ihrem Indien-Engagement aber überrundet. Der bilaterale Handel erreichte im vergangenen Jahr noch eine Summe von knapp 6 Milliarden Mark bei einer beinahe ausgeglichenen Handelsbilanz. Die große Wirtschaftsdelegation zeigt, daß die deutsche Industrie in Indien wieder einen Markt zu sehen beginnt. Neben Siemens, das sich an zwei Großprojekten beteiligt und 100 Millionen an Neuinvestitionen plant, hat auch ABB die Absicht, mittelfristig 300 Millionen Dollar in Indien zu investieren. Das Land hat wegen seiner bisherigen Abschottung gegenüber dem Westen einen enormen Nachholbedarf an Kapitalgütern, ein Bereich, in dem die deutsche Industrie stark ist. Indien verfügt zudem über eine gewisse industrielle Infrastruktur und entsprechende Fachkräfte, gute Voraussetzungen für Investitionen.

Um die deutschen Investitionen zu fördern, vereinbarte Kohl mit dem indischen Ministerpräsidenten Narasimha Rao, daß die deutsche Industrie eine Liste der Handelshemmnisse in Indien erstellt. Die Bundesregierung will gleichzeitig ein stärkeres Engagement deutscher Firmen durch eine veränderte Entwicklungspolitik stützen. So sollen 70 Millionen Mark aus dem 555-Millionen- Entwicklungshilfeetat künftig für Studienbeiträge und die Ausbildung indischer Experten in Deutschland verwandt werden.

Neben den unmittelbar wirtschaftspolitischen Gesprächen spielte in Neu-Delhi die Diskussion um Indiens Atomambitionen eine zentrale Rolle. Helmut Kohl und Indiens Präsident S.D. Sharma stritten sich bei einem offiziellen Bankett ganz ungeniert über Indiens Atompolitik. Während Kohl Indien empfahl, dem Pakt über die Nichtverbreitung von Atomwaffen beizutreten, betonte der indische Präsident, daß die Atommächte die gleichen Abrüstungsleistungen erbringen müßten wie atomare Schwellenstaaten. Indien weigert sich, dem Atomsperrvertrag beizutreten, da er die atomaren Habenichtse gegenüber den fünf Nuklearmächten diskriminiere. Kohl machte schließlich den Vorschlag, einen bilateralen Dialog über Abrüstung und Fragen der militärischen Sicherheit zu beginnen. Die indische Regierung zeigte sich dazu bereit trotz der Furcht, ein solches Forum könnte zu einem Druckmittel werden, mit dem politisches Fehlverhalten – sprich Ausweitung der militärischen Rüstung – durch Kürzung von Entwicklungsgeldern bestraft wird. Entsprechende Andeutungen von Bundesumweltminister Carl-Eduard Spranger hatten in Neu-Delhi im vergangenen Jahr große Unruhe ausgelöst.

Weiter wollte man sich wegen der guten Stimmung für die Wirtschaft ganz offensichtlich nicht streiten. Indien sieht in der Bundesrepublik seinen Brückenkopf in der EG. Die Regierung Rao glaubt, daß ihre Wirtschaftsreform ohne eine substantielle Ausweitung des Handels – vor allem der Ausfuhren – nur wenig Erfolgschancen hat. Gleichzeitig muß aber auch Europa ein Interesse am Gelingen der Reform haben, da Indien einen potentiell großen Markt für westliche Spitzentechnologie darstellt, der sich nur mit einem liberalen Regime öffnen läßt.

Kohl ist nicht der erste europäische Spitzenpolitiker, der in der Rolle des Exportförderers Indien besucht. Der deutsche Bundeskanzler ist vielmehr das letzte Glied eines Besuchsreigens, der innerhalb eines Monats vier Regierungschefs nach Indien gebracht hat. Er hatte mit Präsident Jelzin begonnen und wurde durch Kohls EG-Kollegen John Major und Felipe Gonzales fortgesetzt. Wie im Fall des deutschen Bundeskanzlers hatten auch sie sich an die Spitze einer Schar von Geschäftsleuten gestellt.