"Er widerte mich an"

■ Zweiter Verhandlungstag im Prozeß gegen eine 20jährige Türkin, die ihren Mann mit einem Beil schwer verletzte

Moabit. Aschfahl im Gesicht und mit kaum vernehmbarer Stimme schilderte die wegen versuchten Totschlags angeklagte 20jährige Türkin Fadime K. gestern ihren Lebenslauf. Als sie bei der Hochzeitsnacht mit dem ungeliebten Mann angelangt war, den sie später mit dem Beil schwer verletzte, konnte die kleine Frau nicht mehr weitersprechen. „Meine Mandantin übergibt sich laufend“, bat die Verteidigerin um Prozeßunterbrechung.

Am ersten Verhandlungstag hatte Fadime K. zugegeben, am 28.Juni 1992 in ihrer Wohnung im Wedding mit einem Beil auf den Kopf ihres Ehemannes Indris K. eingeschlagen zu haben. Zur Begründung sagte sie, der 30jährige Mann habe sie, wie so häufig zuvor, zu vergewaltigen versucht. Der im Prozeß als Nebenkläger anwesende Ehemann bestritt dies jedoch. Er hatte die lebensgefährliche Schädelverletzung wie ein Wunder überlebt. Nach Angaben einer Notärztin war das Gehirn an einer Stelle bereits nach außen gequollen.

Nach allem, was die Türkin gestern berichtete, war die Ehe für die junge Frau von Anfang an eine Tortur. Zwischen dem Paar lagen Welten: Fadime K. war in Deutschland aufgewachsen, er hatte bis Anfang 1992 in einem anatolischen Dorf gelebt. 1987 vereinbarten die Väter der beiden die Hochzeit. Ein Jahr später wurde die 15jährige Fadime mit Indris, den sie bei der Eheschließung zum ersten Mal sah, in der Türkei getraut.

Die Angeklagte sagte gestern, sie habe sich damals mit Händen und Füßen gegen die Pläne ihres Vaters gewehrt. Um nicht heiraten zu müssen, sei sie in Berlin sogar für einige Wochen zum Jugendnotdienst geflüchtet. Bei einer Aussprache hätte ihr der Vater versprochen, sie brauche nicht zu heiraten. In den Sommerferien sei die Familie in die Türkei gefahren, und in dem Haus der Oma habe der Vater dann plötzlich erklärt: „Entweder du heiratest ihn, oder ich schlag' dich, bis du tot umfällst.“ Auf Drängen der Mutter, so Fadime K., habe sie schließlich zugestimmt. Bei der Hochzeitsnacht sei es ihm völlig egal gewesen, daß sie Schmerzen gehabt habe, und auch später „war er immer so grob“. Zum Glück habe sie ein paar Wochen nach der Heirat nach Deutschland zurückkehren müssen, weil sonst ihr Zuzugsrecht verfallen wäre. Das Kind in ihrem Bauch hätte sie am liebsten abgetrieben, aber das hätten ihr die Eltern verboten. Auch während der Schwangerschaft habe sie mit dem zu Besuch in Berlin weilenden Ehemann gegen ihren Willen schlafen müssen. Um ihn wieder loszuwerden, habe sie damals gegen den Willen ihres Vaters bei der Ausländerbehörde durchgesetzt, daß sein Visum nicht verlängert wurde. Wenige Stunden nach der Abreise des Mannes brachte die junge Frau den gemeinsamen Sohn Ismael zur Welt.

Auf Drängen ihres Vaters habe sie eine Wohnung und Arbeit suchen müssen. Als dies vollbracht war, konnte Indris K. endgültig nach Berlin kommen. Im Februar 1992 stand er vor ihrer Tür. „Ich habe nicht gedacht, daß es so schnell geht“, sagte die Angeklagte gestern leise. Fortan habe sie „auf der Straße immer auf den Boden gucken“ müssen und mit dem Kind nicht mehr allein zum Spielplatz gehen dürfen. Von ihrer Arbeit als Packerin habe sie stets auf die Minute genau zu Hause sein müssen. Als sie sich bei ihrer Familie über die ständigen Vergewaltigungen beklagt habe, habe der Vater entgegnet: „Dein Mann darf dich umbringen, wenn du ihm aus dem Bett wegläufst.“ In der letzen Nacht vor der Tatnacht habe sich der betrunkene Gatte zunächst mehrfach übergeben und sie dann gezwungen, mit ihm zu schlafen. „Es war einfach eklig“, berichtete Fadime K. fast flüsternd. Obwohl sie danach große Schmerzen gehabt habe, hätte sie nicht zum Arzt gehen dürfen. „Er hat mich einfach angewidert“, meinte die kreidebleiche Angeklagte und holte tief Luft. „Mir war dermaßen schlecht, daß ich mich immer öfter übergeben mußte.“ Der Prozeß wird fortgesetzt. Plutonia Plarre