: Unsere polnische Schwester muß bleiben!
■ Niedliche mexikanische Enuretiker und böse griechische Killer: Rassismus in der Lindenstraße
Die deutsche Vorabendserie ist rassistisch. Jawohl! Selbst die auf den ersten Blick kritische, stets um Aktualität bemühte Lindenstraße macht da keine Ausnahme. Was zunächst aussieht wie ein Schmelztiegel der Nation, erweist sich bei näherer Betrachtung als ein Sumpf. Daß die ausländischen Mitbürger auf Deutschlands berühmtestem Verkehrsweg auffallend schlecht wegkommen, ist schon schlimm genug, doch nun läßt man sie auch noch der Reihe nach verschwinden.
Die Mitglieder der Familie Sarikakis, griechische Restaurantbesitzer in der Lindenstraße, haben kaum noch Platz auf einem Kerbholz: Sohnemann Wassily zum Beispiel, griechischer Wehrkraftzersetzer und ein wahrer Henker am Steuer, fuhr den stets liebenswert um seine Patienten bemühten deutschen Doktor Dressler zum Krüppel — nur um möglichst schnell die geschmuggelten Videorecorder seines Onkels nach Hellas zu schaffen. Kurze Zeit später killte Wassily mit seiner vierrädrigen Waffe dann noch seine Schwiegermutter und das ungeborene Kind seiner deutschen Frau Beate. Vater Sarikakis (mittlerweile wieder in Griechenland) glänzte auch nicht gerade durch Verantwortungsgefühl. Ein Großteil des Familienvermögens verschwendete der alte Lüstling, um der jungen Tanja Schildknecht zu gefallen. Dabei war Tanja, das arme Kind, längst schon Opfer eines Ausländers. Ihr französischer Lover Monsieur Maurais wollte nichts als Sex. Nachdem sie ihm zu fade geworden war, warf er sie weg wie ein vollgeschnupftes Tempotaschentuch und trieb Tanja damit in die Prostitution.
Den niedlichen adoptierten Mexikaner Manuel, Problemkind und Bettnässer, wurde man los, indem man ihm die Lektüre von Hanni und Nanni schmackhaft machte und ihn damit ins Internat lockte.
Auch die Ossis kriegen ihr Fett weg. Das gräßliche Geheimnis der anfangs noch sympathischen sächsischen Blumenverkäuferin Claudia Ranzow wird gnadenlos aufgedeckt: Sie war eine gemeine, Bruder-verratende Stasi-Spitzelin.
Am schlimmsten wird mit der hübschen Ursula umgesprungen. Die Polin ist leichtsinnig, promiskuitiv und durch und durch ein material girl und brach dem armen Vietnamesen Gung das Herz. Der äußerst labile Asiate wurde für sie zum Dieb, um ihr einen kleinen knallroten Flitzer zu schenken. Ursula nahm den Wagen, ließ Gung sitzen und schnappte sich den potenten Südafrikaner David. Der Schwarze (Beruf: Student und Falschspieler) verlustierte sich kurz mit Ursula und ging dann zurück nach Afrika, um den Weißen brennende Autoreifen um den Hals zu hängen.
Leider ist es nun so weit, daß auch Ursula abgesägt wird. „Um nach Polen zurückzukehren, braucht man weniger Mut, als in Deutschland zu bleiben“, schätzt sie ihre Situation richtig ein. Sie wird uns fehlen. In der Lindenstraße tummeln sich jetzt noch Gung, Enrico (der einzige Ausländer mit einer weißen Weste) und Wassily, der Killer mit Spoiler. Nachdem auch die schwer eifersüchtige Elena von uns gegangen ist, gibt es nach Ursulas Abgang keine einzige Ausländerin mehr in der Serie. Damit wird eines klar: Die Lindenstraße ist nicht nur rassistisch, sondern auch sexistisch! Kirsten Niemann
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