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Etiketten abgekratzt

■ „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ in Oberhausen

Edward Albees „Wer hat Angt vor Virginia Woolf“ war mal ein schockierendes, widerliches, gleichzeitig jedoch auch ein lautes, wunderbares und ehrliches Stück, so um 1962, als es in New York uraufgeführt wurde. Reinhard Göber, Gastregisseur am Theater Oberhausen, hat den Klassiker auf etwa die Hälfte zusammengestrichen — was selten ein Regisseur gewagt hat. Dennoch hat er es geschafft, das Wesentliche auf die Bühne zu bringen. Im Gegensatz zum Buch entwickelt sich die Konfrontation zwischen den Eheleuten langsam und erreicht erst im dritten Akt ihren Höhepunkt.

Göber hat das Werk nicht nur in die heutige Zeit, sondern auch nach Europa verlegt – Georg und Martha haben jung die 68er-Zeit erlebt, Putzi tanzt ihren Ausdruckstanz nach Ton Steine Scherben: „Keine Macht für Niemand“. Der Sinn dieses zeitlichen und räumlichen Transports bleibt unklar. „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ (was nichts mit der britischen Dichterin gleichen Namens zu tun hat, sondern eine parodistische Verzerrung des Kinderliedes „Wer fürchtet sich vor dem bösen Wolf“ ist), wird von Göber durch das Solidaritätslied „Vorwärts und nicht vergessen...“ ersetzt. Ein Versuch, die deutsche Vereinigung zu verarbeiten? Oder ein Wehmutstropfen in den Strom der DDR- Nostalgie? Oder versucht Göber an die Solidarität zwischen Ost und West zu appellieren?

Schauplatz des sich anbahnenden Beziehungs-Infernos ist die Wohnung eines unbedeutenden Geschichtsdozenten. Georg ist mit Martha, der Tochter des Universitätsrektors, verheiratet, die ihm permanent vorhält, daß er ein Versager als Gelehrter und Ehemann ist. Nach einer der rituellen Samstagabendpartys des Vaters bekommen Georg und Martha Besuch von einem neuen Kollegenehepaar, das ebenfalls auf der Party war. Der junge dynamische Nick und seine etwas dümmlich wirkende Putzi werden, nachdem die Etiketten abgekratzt sind, zu Pingpongbällen zwischen den Fronten des Ehekrieges von Georg und Martha.

Göbers Inszenierung weicht nicht großartig von Albees Vorlage ab. Im Gegensatz zum Buch und dem Burton-Taylor-Gemetzel in Mike Nichols Film von 1965 sieht Göber jedoch beide Ehepaare gleichberechtigt. Putzi ist bei Albee nur eine kleine, dumme, graue Maus: Sie läßt sich nehmen, läßt sich heiraten, läßt sich auf Partys schleppen. Sie sucht nicht nach Erklärungen ihrer Existenz. Aber in Oberhausen übernimmt sie nicht nur passiv Nicks Vorstellungen von Karriere, Sportlichkeit und Weiblichkeit. Putzi läßt sich nicht in die Karten ihrer Existenz schauen, weder von Georg noch von Martha, am wenigstens von Nick. Er merkt nicht, daß Putzi unter seiner heldenhaften Fürsorge nicht erwachsen werden kann und ihn deshalb mit Kinderlosigkeit bestraft. Nick ist mehr Vater als Liebhaber und Ehemann. Putzi haßt sein Verhalten, gibt ihm dies jedoch nicht konsequent genug zu verstehen. Der Schluß bleibt bei Göber, im Gegensatz zu Albee, offen und läßt Hoffnung zu. Jeder einzelne bekommt die Möglichkeit, neue Wege zu gehen.

Das Theater Oberhausen liefert mit „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ pralles Theater, das man schmatzend genießen kann. Die Schauspieler bewältigen exzellent diese ironisch-liebenswürdige, bis zur brutalen Obszönität gesteigerte Konfrontation, immer wieder angestachelt von den drei „Kümmernissen“ des Menschen – Alkohol, Ehe und Impotenz.

Im dritten Akt geht Martha von der Bühne ins Publikum, wodurch die Konfrontation direkt zum Zuschauer getragen wird, das Ganze etwas Off-Charakter erhält. „Menschenskind, was für geschniegelte, gestriegelte Schlappschwänze! Aber in einer zivilisierten Gesellschaft kann es wahrscheinlich nicht anders sein“, poltert Martha ins Publikum.

Was machen wir? Vielleicht den Rat von Georg befolgen: „Wenn Menschen etwas ändern wollen, wird gebumst, gebumst...“ Beatrix Reinhardt

„Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ im Theater in Oberhausen. Inszenierung: Reinhard Göber, Bühnenbild, Kostüme: Robert Ebeling. Mit Anke Schubert, Rolf Mautz, Anna Polke und Rene Schnoz. Nächste Vorstellung: 28.2.

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