■ Make-up für Fidel Castro
: Wozu Wahlen?

„Wozu Wahlen?“, dies war die Parole Fidel Castros 1959, als Teile der kubanischen Gesellschaft vorsichtig begannen, Wahlen zu verlangen. Es ging ihnen um ein Gegengewicht zu der enormen Macht, die die Revolution damals hatte. Die Antwort-Frage Castros entwertete die Befragung des Volkes an den Urnen als eine Methode, die Regierung zu wählen. Über viele Jahre hinweg hielt es Fidel Castro nicht für nötig, durch die Wahl der Bevölkerung jenes Mandat erneuern zu lassen, das er mit den Waffen gewonnen hatte.

Kuba wurde de facto regiert, ohne auch nur auf die rituellen Wahlen zurückzugreifen, wie sie für die sozialistischen Länder Osteuropas charakteristisch waren. Mitte der 70er Jahre, als sich das anfängliche Charisma der Revolution abgenutzt hatte, war dieses politische System Kubas ein Anachronismus. Die Staatsführung hatte keine andere Alternative, als ihre Regierungsform mit Make-up aufzufrischen, indem sie zu Wahlen für eine „Nationalversammlung der Volksmacht“ rief. Aber zum einen blieb das System der Einparteienherrschaft unverändert. Und zum anderen konnten die Bürger nur auf der Ebene ihrer „Circunscripción“ wählen, einer Einheit, kleiner als ein Stadtteil. Alle anderen Instanzen wurden indirekt gewählt. Faktisch hatte die „Nationalversammlung“ keine andere Funktion, als die Entscheidungen der Regierung abzusegnen, die ihrerseits die Entscheidungen der Partei absegnete, die ihrerseits wiederum die Entscheidungen Fidel Castros absegnete. Kuba wurde nach wie vor von einem einzigen Mann geführt.

Heute nun werden auf der Insel erneut Wahlen abgehalten, und diesmal erfolgt die Wahl für die Abgeordneten der Nationalversammlung direkt. Das Einparteiensystem bleibt jedoch um jeden Preis erhalten, die Zahl der vorgeschlagenen Kandidaten entspricht exakt der Zahl der möglichen Abgeordneten, und kein Kritiker Fidel Castros kann gewählt werden. Weder die Macht noch die Möglichkeit, sie zu kritisieren, stehen zur Wahl. Die Ergebnisse lassen sich vorhersagen: Kuba wird weiterhin von einer einzigen Person regiert werden – und das, obwohl das Land sich in der schwersten Krise seiner Geschichte befindet.

Nur eine einzige Zahl wird interessant sein: die der Enthaltungen, der ungültigen Stimmen. Und auch diese Zahl kann manipuliert werden, denn wo weder Opposition noch abweichende Meinungen existieren, kann es auch keine Kontrolle geben. In jedem Fall bleiben Enthaltungen ein Eingeständnis der Machtlosigkeit. Fidel Castro paraphrasierend ist zu fragen: Wozu Wahlen? Man verliert mit ihnen eine Möglichkeit, vielleicht die letzte, um den Konsens zwischen Bevölkerung und Regierung wiederherzustellen. Die nächsten Wahlen stehen in fünf Jahren an, genau 1998. Ich wage vorherzusagen, daß sie dieses Datum nicht erreichen werden. Jesús Diaz

Kubanischer Schriftsteller („Die Initialen der Erde“). Wegen kritischer Äußerungen wurde Diaz von Kubas Kulturminister Hart letztes Jahr in einem kruden Drohbrief als „Verräter“ und „Judas“ gebrandmarkt. Er lebt zur Zeit in Berlin; Übersetzung: Bert Hoffmann