Das „Haus der Engel“ in Phnom Penh

Das von der Bundeswehr geführte UN-Krankenhaus in Phnom Penh ist eine der wenigen effektiven Einrichtungen der Vereinten Nationen in Kambodscha/ Einsatz ist finanziell lukrativ  ■ Aus Phnom Penh Michael Sontheimer

„Wenn Sie den deutschen Boss sprechen wollen, nehmen Sie den zweiten Eingang und gehen in den dritten Stock“, rät der mit einer tiefdunklen Sonnenbrille und hellblauer Schirmmütze ausstaffierte ghanaische Wachsoldat neben dem fragilen Schlagbaum. Am Stadtrand Phnom Penhs führt ein staubiger Weg zu einem langgezogenen fünfstöckigen Gebäude, das einst zur Universität der kambodschanischen Hauptstadt gehörte. Heute sind große Transparente mit dem roten Kreuz an den freistehenden, vom Monsun-Regen geschwärzten Treppenhäusern angebracht, und an der Fassade hängt neben der blauen Fahne der Vereinten Nationen schlaff die schwarz-rot-goldene.

Der „deutsche Boss“ heißt Norbert Schrimpf und leitet das zentrale Krankenhaus der United Nations Transition Authority in Cambodia, Untac. „Jeder hier ist ungeheuer stolz auf seinen Einsatz“, beschreibt Schrimpf die Moral seiner „145 Mann“ – zu denen neben 34 Ärzten auch sechs Frauen respektive „weibliche Sanitätssoldaten“ gehören. Norbert Schrimpf ist Oberstleutnant einer Gebirgsjägereinheit aus Kempten im Allgäu und gehört zum zweiten Kontingent, das die Bundeswehr nach Kambodscha entsandt hat.

Mit deutscher Gründlichkeit wurde im Mai vergangenen Jahres ein komplettes kleines Krankenhaus inklusive Röntgenabteilung, OP-Container und zahnmedizinischer Station in das von dreißig Jahren Krieg und Terror zerrüttete Land im Herzen Indochinas transportiert. Vor der Aufnahme sitzen ein Dutzend Kambodschaner und warten mit apathischen Mienen darauf, daß sie registriert werden. Manche werden an Ort und Stelle von Sanitätern verarztet. „Ein, zwei Tage – gut“, erklärt ein bundeswehrgrün uniformierter Sanitäter in gebrochenem Khmer einem Mann, der bei einem Mopedunfall eine Prellung am Knie davongetragen hat. Er solle kalte Umschläge machen, übersetzt der Dolmetscher und schickt den Humpelnden wieder nach Hause.

Nachdem die Untac bald dagegen protestiert hatte, daß die Deutschen nicht nur Untac-Personal, sondern auch Kambodschaner auf UN-Kosten behandelten, hat das Sanitätsamt der Bundeswehr die Belegschaft angewiesen, nur noch Khmer aufzunehmen, wenn es sich um Schwerverletzte und Notfälle handele.

Jeden Morgen sammeln sich Dutzende von kranken Aspiranten mit ihren Angehörigen vor dem Schlagbaum. Während sie in normalen Krankenhäusern, in denen es oft kein fließendes Wasser und keine Medikamente gibt, pro Tag 5.000 Riel – das sind rund drei Mark – bezahlen müssen, ist die Behandlung im deutschen Hospital gratis. Also werden Kranke notfalls drei Tage lang mit Rikschas über mehr als 100 Kilometer weit nach Phnom Penh gekarrt. Jeweils ein deutscher Arzt ist dafür abkommandiert, jeden Morgen vor dem Tor zu entscheiden, welche Kranken behandelt und welche weggeschickt werden. Ein junger Chirurg meint: „Das ist der schlimmste Job, den es hier gibt.“

Das Krankenhaus verfügt über sechzig Betten, und bei einem Rundgang durch die verschiedenen Stationen im Erdgeschoß finden sich weitaus mehr kambodschanische Patienten als Untac- Personal. Ein kleiner Junge, der von einer Kobra gebissen wurde; ein Mann, dem unter ungeklärten Umständen ein Hoden weggeschossen wurde; oder ein kleines Kind und ein junger Mann, die in einem Büro der liberaldemokratischen Partei saßen, als Unbekannte eine Handgranate hineinwarfen. Oft sind es auch Khmer, die von Untac-Besoldeten verletzt wurden, so der in die orange Robe gehüllte Mönch mit zwei gebrochenen Beinen. Er saß in einem Bus, der von einem Untac-Fahrzeug abgedrängt wurde und in ein Reisfeld stürzte.

Gemessen an deutschen Verhältnissen wirken die Stationen, auf denen jeweils rund zehn Menschen liegen, erschreckend primitiv, doch für kambodschanische Verhältnisse sind sie extrem luxuriös ausgestattet. Während in einem gewöhnlichen Provinzhospital die Patienten auf Bambusmatten liegen, sind sie hier auf schneeweißen, frischen Laken gebettet. Die Betten sind durch Paravans voneinander abgeschottet; und die Ärzte teilen die Medikamente wirklich aus, statt sie zu verkaufen. Bei den Kambodschanern heißt das deutsche Krankenhaus inzwischen „Haus der Engel“.

Ganz uneigennützig ist das Engagement der Deutschen naturgemäß nicht. Obwohl er schon den vierten Tag hintereinander Dienst hat, befindet ein junger Chirurg: „Das ist ideal hier. Man lernt in zwei Monaten soviel wie in Deutschland in zwei Jahren.“ Neben professionellen Motiven ist der exotische Einsatz auch finanziell attraktiv. Während das übliche Gehalt weiterbezahlt wird, bekommen die deutschen Soldaten eine Erschwerniszulage, die sich Monat für Monat auf runde 5.000 Mark zusätzlich summiert. So hatten sich für das zweite Kontingent 1.200 Bundesarmisten als Freiwillige gemeldet, nur die Suche nach Ärzten war nicht so einfach.

Im Labor werden auch Aids- Tests gemacht. Nachdem sich in Phnom Penh binnen kürzester Zeit ein Heer von 20.000 Prostituierten rekrutiert und die „Betreuung“ der Untac-Soldaten aus 41 Nationen übernommen hat, breitet sich der Virus mit beängstigender Schnelligkeit aus, obwohl es noch vor drei Jahren in Kambodscha keine Aids-Fälle gab. „Wir haben in fünf Wochen 24 positive Ergebnisse gehabt“, erklärt ein Laborant. „Davon waren mehr als die Hälfte Bulgaren, gefolgt von Polen.“ Angesichts dessen, daß eine Nacht mit einer Prostituierten nur zehn US-Dollar kostet, seien die Bulgaren nicht zu halten. „Die kommen aus dem Krankenhaus und rennen sofort wieder in den nächsten Puff.“

Im Gegensatz zu manchen tumben Osteuropäern verfügen andere über eine gewisse Raffinesse. Ein Vertreter der einstigen französischen Kolonialmacht in Kambodscha brachte unlängst Blutproben von sechs Vietnamesinnen vorbei und bat um Aids-Tests. „Erst haben wir gezögert, aber dann haben wir ihm den Gefallen getan“, sagt ein Laborant feixend.

Die Deutschen haben nicht lange gebraucht, um sich bei der zusammengewürfelten Untac- Truppe einen guten Ruf zu erwerben. Zum Verdruß der Inder, die drei weitere Krankenhäuser in der Provinz betreiben, versuchen viele Untac-Patienten, in den Genuß deutscher Behandlung zu kommen. Die Deutschen haben zudem nicht die Kommunikationsprobleme wie beispielsweise die indonesischen Polizisten, die knapp zehn Worte Englisch beherrschen, oder die russischen Hubschrauberpiloten, deren internationaler Wortschatz kaum größer ist.

Und die Deutschen arbeiten in Phnom Penh in dem Bewußtsein, daß dieser Einsatz eine historische Mission ist. Sehr genau und ein wenig besorgt verfolgen sie die Debatte über künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr in Deutschland. Die Planung für Somalia sei perfekt, berichtet Oberstleutnant Schrimpf. Auch wenn Schrimpf und viele andere Deutsche die ghanaischen Wachsoldaten so oft loben, daß es einem schon fast verdächtig vorkommt, wäre es ihm doch lieber, wenn die kleine Einheit zur Selbstverteidigung – wie für Somalia vorgesehen – aus deutschen Soldaten bestehen würde.

Derzeit sinniert Schrimpf darüber, was nach dem Abzug der Untac im Oktober diesen Jahres mit der hochwertigen Ausrüstung des Krankenhauses geschehen soll. Ein großer Teil soll in Phnom Penh bleiben, doch wenn dieser in die Hände von kambodschanischen Beamten fiele, würde er sofort verkauft werden. Deshalb sollen die Apparate und das Material möglichst einer privaten ausländischen Hilfsorganisation übergeben werden.

Oberstleutnant Schrimpf ist sich darüber im klaren, daß es noch einige Zeit dauern wird, bis es wieder „Deutsche an die Front“ heißen kann, doch er ist sich sicher, daß es soweit kommen wird. Die Truppe ist bereit. Als das erste Kontingent aus Phnom Penh verabschiedet wurde, bekamen die deutschen Soldaten für ihren Einsatz einen UN-Orden verliehen. Da flossen bei manchem ein paar Tränen. Und aus den Lautsprechern dröhnte das Lied „We Are The Champions“.