Carlo Schulte will Kanzler werden

Kleinstparteien in Frankfurt und Rüsselsheim kämpfen erbittert um die Gunst der KommunalwählerInnen/ Fischzüge in grünen Gewässern geplant  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Sie wohnen in Frankfurt am Main und kennen Sylvia Großmann nicht? Tatsächlich? Dann gehören Sie zu den wenigen (glücklichen) Menschen in der Mainmetropole, die kein Telefon besitzen und bei Tageslicht nicht aus dem Haus gehen. An Sylvia Großmann kommt nämlich kaum noch ein Mensch vorbei: Auf der Zeil veranstaltete die junge Politikerin eine Talkshow mit Gemüse, um ihren potentiellen WählerInnen zu demonstrieren, daß ein Kohlkopf in etwa genauso viel/wenig zu sagen hat wie der Bundeskanzler. Und mit ihrer „kleinen Raubtierschau“ demonstrierte sie eindrucksvoll, wie die Bundesregierung den BürgerInnen demnächst das letzte Geld aus dem Beutel zu reißen gedenkt. Die „One-Woman-Band“ mit ihrer Liste „Linkswende“ führt einen einsamen Wahlkampf mit nur einem Thema: Sylvia Großmann kämpft gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit und für die bedingungslose Beibehaltung des Asylrechts. In der letzten IPOS-Umfrage zu den hessischen Kommunalwahlen wird der Liste „Linkswende“ für den Wahltag am 7.März das gleiche Schicksal prognostiziert wie all den anderen kleinen Listen und „Parteien“, die sich um Sitz und Stimme im Römer bewerben: weniger als ein Prozent der Stimmen.

Einzige Ausnahme von der erbarmungslosen Regel vom unaufhaltsamen Marsch in die Bedeutungslosigkeit scheint die Gruppe „Öko LinX“ der Ex-Frankfurter Stadtverordneten und Ex-Bundesvorstandssprecherin der Grünen, Jutta Ditfurth, zu werden. Für die aus ehemaligen Grünen und PDS- Mitgliedern zusammengesetzte Liste hat IPOS immerhin 1,4 Prozentpunkte eruiert. Und das hat die mit satten 15 Prozent gehandelten Grünen in Frankfurt zur Verbalattacke auf die potentiellen WählerInnen von „Öko LinX“ animiert: Wer linksradikal wähle, so Umweltdezernent Tom Koenigs, mache sich mitschuldig am prognostizierten Rückgang der Stimmenanteile für die demokratischen Parteien und befördere so den Aufstieg der Rechtsradikalen. „Öko LinX“ schießt sich im Wahlkampf explizit auf die „rosagrünen Modernisierer“ im Römer ein. Vor allem die Grünen hätten ihre WählerInnen verraten und verkauft: „Die Stadt, die Banken und der Tod“, war die zentrale Wahlkampfveranstaltung von „Öko LinX“ überschrieben. Mit dieser Anspielung auf das umstrittene Faßbinder-Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ hätten die Radikalökologen und Sozialisten um Ditfurth und Moneta ihren Wahlkampf mit einem „antijüdischen Schwerpunkt“ versehen, meinte danach etwa das Grünen-Mitglied Thomas Kieseritzky. Der Titel ziele eindeutig auf Ignatz Bubis und auf eine „bestimmte Richtung in der jüdischen Gemeinde“ ab. Dabei stehe doch fest, daß der Patriarch dieser Stadt Josef Abs heiße – „und die Deutsche Bank nicht Jüdische Bank“.

Mit „Öko LinX“ startet auch ein Versuchsballon der PDS mit Blick auf die Bundestagswahl: Ihr mangelt es im Westen an Stimmen. Die Fusion Ditfurth (Ex-Grüne)/ Moneta (PDS) in Frankfurt könnte bundesweites Programm werden. Nach internen Kalkulationen der PDS würden der Partei knapp zwei Prozent Stimmen im Westen reichen, um mit den Oststimmen zusammen wieder in den Bundestag einziehen zu können.

Bislang nicht reagiert haben die etablierten Parteien auf den „Generalangriff“ von Carlo Schulte auf die Frankfurter Verhältnisse. Die dreizehnköpfige Liste „Frankfurter Offensive“ (F.O. – Aufklärung) des Mannes mit der Baseballmütze hat den „etablierten West-Blockparteien CDU, FDP, SPD und die Grünen“ den Kampf angesagt. So will die „F.O.“-Spitzenkandidatin Christiane Trübner eventuell bei den Oberbürgermeisterwahlen gegen Andreas von Schoeler (SPD) und Petra Roth (CDU) antreten. Und Schulte selbst steht 1994 als „Kanzlerkandidat“ zur Verfügung: „Warum sollte in einer Koalition aus SPD, Bündnis 90/Grünen und F.O. nicht auch einmal ein kleinerer Partner den Regierungschef stellen?“

Auch der Kunstmaler Ferry Ahrle will in den Römer. Mit seiner „Wählergemeinschaft Demokratische Mitte Frankfurt“ hofft der Mann, der schon einmal Oberbürgermeister werden wollte, auf den endgültigen Durchbruch. „Uns darf nur wählen, wer denken kann“, heißt das Wahlkampfmotto von Ahrle. Mit seiner „Demokratischen Mitte“ ist das Spektrum der Kleinstparteien in Frankfurt noch nicht komplett: Da gibt es noch die „Partei bibeltreuer Christen“ und die längst totgesagte „Ökologisch- Demokratische-Partei“ (ÖDP).

Frankfurt/Main ist allerdings nicht die Hochburg der neuen Parteien en miniature avec phantasie: Mit diesem Titel darf sich die seit Jahren von einer „Betonkoalition“ aus SPD und CDU regierte Opelstadt Rüsselsheim schmücken. Dort treten gleich drei Listen zu den Kommunalwahlen an, die sich der Tradition der 68er „Spaßguerilla“ verschrieben haben. Die bereits 1989 aktive „fNEP“, die Partei „für Nichtwähler, Erstwähler und Protestwähler“, die „Liste Rüssel“ und eine Partei mit dem schönen Namen „Blaise Pascal“. Die Mitglieder der letztgenannten Gruppierung aus dem Umfeld der technischen Fachhochschule haben sich zum Ziel gesetzt, die Vita und das Wirken des französischen Mathematikers, Philosophen und Theologen Blaise Pascal (1623 bis 1662) einem breiteren Publikum nahezubringen. Daß die drei Listen im grünen Symphatisantenlager auf Fischzug gehen werden, steht außer Zweifel. Die KandidatInnen der Liste „fNEP“ etwa haben die „etablierten Grünen“ bereits „voll abgeschrieben“, weil die Partei nicht mehr das „Lob der Faulheit“ predige, so eine „fNEP“-Aktivistin aus dem benachbarten Flörsheim. Der Wahlausschuß der Stadt mit dem Narrenschiff im Wappen hat „fNEP“ zur Kommunalwahl zugelassen, obgleich deren Spitzenkandidatin die jugoslawische Staatsbürgerschaft besitzt und deshalb weder das aktive noch das passive Wahlrecht hat. Dank „fNEP“ kann in Flörsheim jedermann/frau die Kommunalwahl vom 7.März wegen Formfehlern anfechten und eine Wiederholungswahl erzwingen.