Rosinenbomber für Bosnien

■ Präsident Clinton will die US-Luftwaffe mit der Versorgung eingeschlossener Städte beauftragen

Genf (taz) – Trotz teils massiver Bedenken seiner Militärs will US-Präsident Bill Clinton möglicherweise noch diese Woche mit dem Abwurf von Hilfsgütern aus der Luft in Ostbosnien beginnen. In Meldungen aus Washington hieß es am Dienstag nachmittag, die grundsätzliche Entscheidung der Administration sei bereits gefallen. Lediglich der genaue Termin für den Beginn der Operation müsse noch bestimmt werden. Mit der offiziellen Bekanntgabe der Maßnahmen durch Clinton wurde für den Abend gerechnet. Zuvor traf Clinton mit UNO-Generalsekretär Butros Butros Ghali zusammen. Ghali hatte am Montag eine Versorgung aus der Luft zwar „grundsätzlich“ begrüßt, zugleich aber eine ausdrückliche Zustimmung des UNO-Sicherheitsrates sowie die Unterstellung der Operationen unter UNO-Kommando gefordert. Während Bosniens Präsident Izetbegović bei einem Besuch in Washington eine Versorgung der notleidenden Bevölkerung durch Luftabwurf von Hilfsgütern begrüßte, kamen von serbischer Seite Warnungen vor einer „Eskalation des Krieges“.

Nach den bisher bekanntgewordenen Planungen sollen in Deutschland stationierte US-Transportmaschinen Hilfsgüter mit Fallschirmen aus rund 4.000 Meter Höhe abwerfen. Begleitet und gegen etwaigen Beschuß geschützt werden sollen sie durch Kampfflugzeuge. Die niederländische Regierung bot den USA gestern bereits die Bereitstellung von F-16-Kampfflugzeugen an. Unklarheit herrscht – auch über die Bereitstellung von Fluggerät – bei der britischen Regierung. „Wir diskutieren noch mit den USA“, erklärte das Außenministerium. In der Regierung Major sowie bei britischen Militärs, die die Bedingungen in Bosnien-Herzegowina bestens kennen, herrschen erhebliche Zweifel gegenüber den US-Plänen. Allerdings wolle man sich Washington nicht in den Weg stellen, hieß es gestern aus London. Erhebliche Bedenken meldete der Oberbefehlshaber der in Bosnien-Herzegowina stationierten UNPROFOR-Truppen, der französische General Morrillon, an. „Wenn die Amerikaner beginnen, Güter mit Fallschirmen abzuwerfen, gibt es hier eine Explosion“, erklärte er in einem Interview mit der New York Times. Im „gegenwärtig äußerst angespannten Klima“ bestehe die Gefahr, „daß jede Seite auf alles schießt, was fliegt“.

Die Militärs befürchten, daß die US- Transportmaschinen – falls sie zu niedrig fliegen – von Luftabwehrgeschützen der Serben oder auch der Muslime und Kroaten getroffen werden können und daß es dann zu Vergeltungsschlägen der US- Kampfflugzeuge und einer nicht mehr kontrollierbaren Eskalation kommt. Die Sprecherin des UNHCR in Genf, Foa, die letzte Woche noch ähnliche Befürchtungen geäußert hatte, erklärte gestern allerdings, die UNO-Behörde begrüße „alle Maßnahmen, die den notleidenen Menschen in Bosnien zugute kommen“. Der stellvertretende Kommandeur der bosnisch-serbischen Truppen, General Gvervo, warnte, die Versorgung aus der Luft sei „eine hochriskante Operation“ und „der sichere Weg zur Ausweitung der Kämpfe mit unabsehbaren Folgen“.

Nach der Wiederaufnahme der zeitweise unterbrochenen Hilfsoperationen durch das UNHCR waren am Dienstag insgesamt zehn LKW-Konvois mit rund 580 Tonnen Nahrungsmitteln und Medikamenten nach Goražde, Tuzla und in andere Orte unterwegs. In Sarajevo wurde die Verteilung der Hilfsgüter wiederaufgenommen. UNHCR und UNPROFOR hatten bis zum Abend keinen endgültigen Überblick, ob die Hilfslieferungen, wie von den drei Kriegsparteien am Sonntag versprochen, überall in Bosnien-Herzegowina ohne Behinderungen transportiert werden können. Im Save-Becken tobten weiterhin schwere Kämpfe zwischen Serben und muslimisch/kroatischen Truppen. Goražde lag gestern unter heftigem serbischen Artilleriebeschuß. Andreas Zumach Seite 8