Die ehrenwerte Sport GmbH

Sport. Riesenspektakel, Riesengeschäft. Ein Blick auf einige Herren, die es organisier(t)en – einer davon sitzt im Knast  ■ Von Josef-Otto Freudenreich

Funktionäre, hat Willi Daume mal gesagt, würden vornehmlich von zwei Motiven getrieben: der Eitelkeit und der Flucht vor der eigenen Familie. Gelegentlich geht es auch um Geld. Seit Jahren werden die mehr oder weniger Wichtigen der Sportwelt von einem Stuttgarter Journalisten beobachtet, der sie beim Blättern in Notizbüchern wiedergefunden hat.

Emil Beck (57) ist der beste von allen. Der kleine runde Mann aus Tauberbischofsheim hat mit seinen Fechtern viele Medaillen für Deutschland gesammelt. Nun wäre dies nicht der weiteren Rede wert, weil der Fechtsport eigentlich kaum jemand interessiert, aber gerade deshalb ist des Meisters Ruf zu rühmen. Der gelernte Friseur arbeitet hart. Morgens um halb sechs steht er auf in seinem Haus am Tannenweg, wo schon Helmut Kohl seinen Bocksbeutel getrunken hat, und legt sich zunächst auf die Sonnenbank. „Wenn du braun bist“, sagt Beck, „fragt dich keiner, ob's dir schlecht geht.“ Danach braust er mit seinem anthrazitfarbenen Mercedes 600 SEL, dessen Nummer (TBB-KT 1) die Menschen im Frankenland mit „König von Taubertal“ übersetzen, ins Fechtzentrum und parkt neben den anderen 50 Stern-Limousinen, die ihm der Sponsor zu besonders günstigen Konditionen überläßt.

Über längere Strecken chauffiert ihn der pensionierte Feldwebel Willi Kaesler, der dabei nicht schneller als 170 bis 180 km/h fahren darf. Bedauerlicherweise verlor Kaesler seine Stelle, als er dem Reporter erzählte, daß Herr Beck ihm im Auto, wie er wieder einmal ungehalten war, die Leselampe an den Kopf geworfen hat und Frau Beck ihn in eine mausgraue Uniform mit Schirmmütze stecken wollte. Heute fährt Kaesler wieder, weil ihm Beck verziehen hat und der Terminkalender immer voller wird. Dies dank seiner Neider, die bei zwei Hamburger Magazinen und der Stuttgarter Zeitung zu Hause sind und ihn mit ihren „Lügengeschichten“ (Beck-Zitat) zum gefragten Referenten bei der Wirtschaft gemacht haben. Für 15.000 Mark spricht er dort über den „programmierten Weg zum Erfolg“.

Klar, daß so einer programmatisch bestens harmoniert mit seinem Fahrzeuglieferanten: Daimler Benz. Deutschlands größter Sportsponsor ist „Official partner of IOC“, und dort wiederum residiert mit Matthias Kleinert (54) der raffinierteste Sportfex unter den Managern, den nicht nur der Branchendienst sportinternfür den „heimlichen Sportchef“ der Republik hält. Wie Olympiaboß Juan Antonio Samaranch sieht sich der Daimler-Direktor als „global player“ und die Olympischen Spiele als internationalen Markt, dessen Grundlage die Rendite ist.

Zwecks deren Erhöhung traf man sich in Barcelona im Daimler- Club, wo Samaranch („Mercedes ist das beste Auto der Welt“) die Freundschaft mit Edzard Reuter intensivierte, der daraufhin erklärte, daß Herr Samaranch ein „aufrechter, demokratischer und hochgewürdigter Mann“ ist.

Mit dabei war auch Berlins Regierender Eberhard Diepgen, der seiner Stadt die Spiele 2000 bescheren will, was wiederum auch Reuter als Vorsitzender des Kuratoriums der Olympiabewerbung will, weil der „integrierte Technologiekonzern“ viel für die Infrastruktur Berlins tun könnte. Wenn da nur nicht die permanenten Peinlichkeiten wären, die Diepgens Werber produzieren. Aber da hat Samaranch beruhigt. „Herr Kleinert, wir hängen das tiefer“, hat der spanische Grande gesagt, „nach Barcelona reden wir in Ruhe darüber.“ Und so geschah es.

Am 15.Januar flog Samaranch, direkt von Boris Jelzin kommend, in Stuttgart zum Sechs-Augen- Gespräch ein. Bei klarer Brühe wurde im Daimler-Headquarter die Lage besprochen, zu der Samaranch, Reuter und Kleinert übereinstimmend feststellten, daß es eines klaren Bonner Bekenntnisses zu Berlin bedürfe. Am 21.Januar sicherte Kanzler Kohl seinem Parteifreund Diepgen brieflich „volle Unterstützung“ zu.

Auch darüber hätte der Reporter gerne mit Präsident Samaranch gesprochen, nicht nur über die Frage nach der franquistischen Vergangenheit, die Connecitions mit adidas-Dassler, die geheimen Wünsche der IOC-Mitglieder. Fast hätte es auch geklappt, doch dann kam ein überraschender Termin mit Spaniens Regierungschef Gonzales dazwischen, und Samaranch bedauerte. Ein andermal. Yours sincerely...

Einfacher ist es mit Willi Daume (79). Aller seiner Ämter inzwischen ledig, sitzt der alte Löwe in seinem Münchner Bau und denkt darüber nach, wen er als nächstes erschrecken kann. Wenn er besonders gut aufgelegt ist, schimpft er Samaranch schon mal einen Altfaschisten, wozu man wissen muß, daß Daume anno 1980 selbst IOC-Präsident werden wollte. Seitdem verbindet beide eine herzliche Feindschaft, die dadurch nicht erträglicher wurde, daß Deutschlands Oberolympier dem Herrn der Ringe den Steigbügel hielt. Unbewußt vielleicht, aber wirkungsvoll.

Daume war es, der 1981 die Amateurregel gekippt hat und damit den Kommerzzug erst richtig in Schwung brachte. Der Reporter erinnert sich an Gespräche, in denen Daume, der letztlich doch Amateur geblieben ist, heftig beklagt, daß die „liebe Steffi“ so einen „schrecklichen Vater“ haben muß, daß sich alles nur noch ums Geld dreht. Nicht begreifend, daß Profisport nicht unbedingt etwas mit Moral zu tun haben muß. Wenn er dann die wenigen Meter von seinem Büro am Helene- Meyer-Ring zu seinem Appartement im olympischen Dorf schlurft, eine Plastiktüte in der Hand, dann geht der einsamste Mensch dieser Welt nach Hause.

Der große alte Mann des deutschen Sports hat Geldprobleme. Seitdem er in der Prominentenmannschaft der Münchner Lach- und Schießgesellschaft eine vor's Schienbein getreten bekam, läuft er schlecht. Linderung bringt allenfalls der Hexenmeister der Orthopädie, Professor Armin Klümper (57). Bei ihm ist Daume Patient und damit im Dauerkonflikt, denn der „Doc“ macht keinen Hehl daraus, daß er Anabolika verabreicht, wenn er es für medizinisch nötig hält. Und dies wiederum verstößt zwar nicht bei Daume, aber bei dem Heer von Sportlern, das bei Klümper ein und ausgeht, gegen die Richtlinien. Zusätzlich unangenehm wird die Lage durch die Nähe eines anderen Freiburger Professors.

Joseph Keul (59) heißt er und ist leitender Olympiaarzt. Seit vielen Jahren kämpfen die beiden Ordinarien um die Antwort auf die Frage, wer nun der Gute und wer der Böse unter ihnen ist [oh diese narren, gäbe es doch den einen ohne den anderen nicht; die säzzerin]. In diesen Streit war der Reporter schon oft verwickelt, wobei es immer gleich um größere Summen geht. Zuletzt forderte Keul 100.000 Mark als Schadensersatz und Schmerzensgeld, anzuweisen unter dem Titel „Forschung zur Gesunderhaltung von Leistungssportlern“ an die Uniklinik Freiburg.

Der Knackpunkt ist immer der gleiche: Hat jemand gedopt, oder vom Doping gewußt? Nun gibt es einen in Deutschland, der davon bisher unberührt war, weil er mit Sport nichts zu tun hatte: Erich Schumann (62), Vorsitzender der Sporthilfe. Im Hauptberuf geht er ganz normalen Geschäften nach. Er ist Geschäftsführer der Essener WAZ-Gruppe, die als viertgrößter Medienkonzern in Deutschland gilt. Ein unabhängiger Mensch also, der jetzt von seinem Lebensglück, sagt er, etwas an die jungen Menschen zurückgeben möchte.

Die Sportler sollen bei ihm Sicherheit finden. In der WDR-Sendung „Ich stelle mich“ hat der Jaguar-Fahrer und passionierte Jäger lange davon erzählt. Zum Beispiel darüber, daß er früher kommunistischen Ideen gegenüber empfänglich war. Heute glaubt er an den Markt. Danach ist er noch mit Gastgeber Claus-Hinrich Casdorff bei einigem Kösch eingekehrt und anschließend um 1.30 Uhr nach Wien aufgebrochen, zu seinen österreichischen Geschäftspartnern. „Kaufen, wenn's akut wird“, heißt die Devise der WAZ. Bevor Casdorff in seinen Dienst- Daimler gestiegen ist, hat er dem Reporter zugeraunt: „Ich verstehe nicht, warum der immer noch mehr will. 1,8 Millionen Jahresgehalt und keine Kinder...“

Wo soviel Licht ist, ist auch Schatten, und damit sprechen wir zum Schluß von des Reporters liebstem Klienten. Von Roland Mader (48). Der frühere Sprecher aller Fachverbände und Präsident des Deutschen Volleyballverbandes sitzt im Knast. Roland Mader war das Wunderkind unter den deutschen Sportfunktionären. Respektlos und dennoch stets auf dem Weg nach oben, wo nur noch das Amt des Präsidenten des Deutschen Sportbundes warten konnte. Er habe, so die bajuwarische Justitia, einen Ü-Wagen abgefackelt, um die Versicherung zu betrügen, und verurteilte ihn zu zwei Jahren.

Danach ist er abgetaucht, weil ihm die Bayern keinen offenen Strafvollzug genehmigen wollten. Zwischendurch hat sich Mader immer mal wieder gemeldet, telefonisch und von wo aus tut nichts zur Sache. Er betreibe jetzt mit aller Energie die Wiederaufnahme seines Verfahrens, teilt er mit, und dann werde er wiederkommen.

Es hat nicht sollen sein. Die jüngste Nachricht erhielt der Reporter aus der JVA Landsberg. „Resignation ist kein Gesichtspunkt“, tröstete von dort aus ein ungebrochener Freund.