Der Preis einer friedlichen Perspektive-betr.: "Kann das Militär der Politik den Weg bereiten", taz vom 20.2.93

betr.: „Kann das Militär der Politik den Weg bereiten“,

taz vom 20.2.93

Wolf-Dieter Narr wendet sich zwar gegen eine Militärintervention im ehemaligen Jugoslawien, aber von vereinzelten Ansätzen (Erwähnung der Flüchtlinge und der mittelfristigen Perspektive für ein derart „befriedetes“ Jugoslawien) abgesehen, thematisiert er keine Alternativen, suggeriert damit nicht zuletzt, Pazifismus sei gleichbedeutend mit Passivität angesichts des Grauens. Damit verpaßt er eine der seltenen Gelegenheiten, eine (relativ geneigte) LeserInnenschaft (mal wieder) auf die Widersprüche und Lücken der laufenden Kriegspropaganda hinzuweisen:

Keiner der Bomber- und Panzer-bei-Fuß bereitstehenden selbsternannten Friedensengel wird einen roten Teppich für die realexistierenden Deserteure aller Bürgerkriegsarmeen ausbreiten, geschweige denn, ihnen eine existentielle Perspektive im friedliebenden (?) Westeuropa anbieten. Eine logische déformation professionelle bei Militärs und MilitaristInnen, aber gerade deshalb eine Herausforderung für PazifistInnen, die ein Bewußtsein dafür schaffen wollen bzw. müssen, daß mensch sich dem (Befehl zum) Krieg verweigern kann.

Ebensowenig wird darüber geredet, wieviel DM (100? 300? 500?) es derzeit kostet, durch die diversen Frontlinien zum Beispiel aus dem belagerten Sarajevo zu entkommen. Geschweige denn darüber, daß mancheR in Sarajevo diesen Preis des nackten Überlebens zwar zahlen könnte, aber trotzdem ausharrt und auf einen militärischen Sieg einer ihr/ihm „gewogenen“ Seite oder ein UN- Protektorat hofft. Weil sie/er per Flucht zwar vielleicht das nackte Leben, aber eben nur dieses retten kann, davon ausgehen muß, daß der Futterneid in der vermeintlich zivilisierten Außenwelt ihr/ihm anderswo keine Chance auf einen noch so (nach hiesigen Maßstäben) bescheidenen Wohlstand, auf eine menschenwürdige Existenz, einräumen wird. Wer sich hierzulande um Einreise, Unterkunft und Jobs für jugoslawische Flüchtlinge bemüht, erlebt tagtäglich den hinhaltenden Widerstand von Behörden und Individuen, die den Flüchtlingen am liebsten selbst die Minimalperspektive einer „geduldeten“ Armutsexistenz auf Zeit verwehren würden, aber andererseits zum Teil keine pathetische Floskel auslassen, um ihre Forderung nach „Krieg dem Krieg“ zu untermauern. Eine gängige Doppelmoral, die durchaus mit der von Wolf-Dieter Narr erwähnten stalinistischen Ideologie der Legitimation der Inhumanität per Verweis auf eine angeblich humanere Zukunft mithalten kann.

Auch sollte in einem Land mit einem nach wie vor völkischen Staatsangehörigkeitsrecht, in dem unter anderem eine zwar dauerhaft ansässige, aber überwiegend nicht wahlberechtigte moslemische Minderheit zunehmend von Mordanschlägen bedroht wird, wo bisher völkisch-nationalistische Umtriebe samt Molotow-bewehrter Anläufe zur ethnischen Säuberung nicht unterbunden werden konnten, sich niefraud/-mand berufen fühlen, zuerst bzw. stellvertretend anderswo und ausgerechnet mit der Waffe in der Hand die Unteilbarkeit der Menschenrechte durchzusetzen!

Schließlich ist zwar aktuell vielfach die Rede von den Möglichkeiten und (vor allem) Grenzen einer (Waffen-)Embargo-Politik, die menschenrechtsverletzende Regime aus der internationalen (Arbeitsteilungs- und Handels-)Gemeinschaft ausgrenzt und so zur Umkehr zwingen kann. Leider wird aber verschwiegen (beileibe nicht nur in Bezug auf ex-Jugoslawien), daß der Preis einer solchen Intervention, wenn sie denn für die (mit-)betroffene Bevölkerung humanistisch glaubwürdig und damit letztendlich erfolgreich sein sollte, in einer uneingeschränkten Bereitschaft zur Unterstützung und Aufnahme von RegimegegnerInnen und Flüchtlingen liegt. Ein Embargo ohne diese flankierende Maßnahme bzw. Voraussetzung ist verlogen – und wird von den Betroffenen, die keine reale Chance erhalten, sich von der in den jeweiligen Staaten HERRschenden Politik ab- und der Wertegemeinschaft der zivilisierten (?) Welt zuzuwenden, auch genauso erlebt.

Fazit: Zuallererst müssen wir über offene Grenzen und alle Möglichkeiten der zivilen Solidarität mit den GegnerInnen und Opfern menschenrechtsverletzender Regime bzw. Kriegsparteien reden, diese so lautstark wie möglich fordern. Und erst, wenn diese Möglichkeiten tatsächlich ausgeschöpft wären – wovon derzeit so wenig die Rede sein kann, daß der Gedanke utopisch anmuten mag –, kann Zarko Puhovski's Plädoyer für eine militärische Intervention Grundlage einer erneuten Diskussion sein.

Wobei auch dann seiner makabren Leichenzählerei entgegenzuhalten bleibt: Soldaten sind potentielle Mörder und werden im Krieg potentiell ermordet. Wer auch immer darüber philosophieren will, ob bzw. daß sie morden und ermordet werden sollten, muß sich selbst explizit einschließen. Sonst macht er/sie sich eines arrogant menschenfeindlichen publizistischen Schreibtischtätertums schuldig, das in diametralem Widerspruch zum Inhalt der vorgeblich zu verteidigenden Werte steht. „Tertium non datur“ kann ohne intensive Alternativensuche wohl nur vertreten, wer sich der eigenen BeobachterInnenperspektive einigermaßen gewiß ist... Janine Millington-Herrmann, Karlsruhe