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: Strahlenschwimmer

■ "Atom-Alarm im Eismeer"

„Atom-Alarm im Eismeer“, Mi., 21.30 Uhr ARD

„Wollen Sie mal?“ Wenn Politiker demonstrativ Leckereien verschmausen, ist Vorsicht geboten. Der norwegische Fischereiminister, der für die Kamera so herzhaft zulangte, wollte beruhigen: seine Fischer und ihre Kunden in Übersee. Vergeblich: Der Mann kann gar nicht soviel Fisch essen, wie man kotzen mag nach Dethlev Cordts' Film über den Strahlentod des Eismeers.

Atomreaktoren rosten in den flachen Küstengewässern der Nordmeerinsel Nowaja Semlja vor sich hin. Aufklärungsbilder eines russischer Frachters, der Container mit radioaktivem Müll über Bord rollen läßt, und dann ein verendeter Eisbär, der sich zuvor — möglicherweise — an Eismeerfisch versucht hatte.

Cordts' Film ist keine klassische Reportage, er hat vielmehr ungeheuer sugestives Archivmaterial hervorgewühlt, schneidet Bilder herber Schönheit im Eismeer mit Schwarzweißaufnahmen aus sowjetischen Propagandafilmen und Dokumentarmaterial einer Roboterkamera: Das Boot, ein stählernes Ungetüm, verläßt den nebeligen Heimathafen. Das U-Boot Komsomolez liegt 1.700 Meter vor der norwegischen Küste mit 46 Mann an Bord auf dem Meeresgrund. Das Atom-Wrack strahlt vor sich hin und die Abschußluken seiner Wasserstoffbomben stehen offen. Salzwasser nagt an den Reaktoren, (norwegische) Tiefseekrabben schwimmen vorbei.

Die Suggestion wird mit einer Fülle kaum glaublicher Fakten unterfüttert. 250 Atomreaktoren liegen im Hafen der Nordmeermetropole Murmansk und rotten vor sich hin. Bei den großen Atomtests der Sowjets zerbarsten schon mal die Scheiben im 1.000 Kilometer entfernten Lappland.

Im Westfernsehen muß der zuständige Minister Fisch essen, Tee trinken oder den Rhein durchschwimmen. Cordts' Film zeigt noch im Symbolischen die Systemdifferenz: Sowjetische Archivbilder zeigen einen unbekannten Schnorchler in Badehose, der demonstrativ in einem friedlich, aber atomar gesprengten Strahlensee badet: Die Stimme aus dem Off bleibt trocken. „Über sein Verbleiben ist nichts bekannt.“ Hermann-Josef Tenhagen