Blumen innerhalb der Mauer

Interview mit Zhang Yimou, Regisseur von „Die Rote Laterne“ und chinesisches Mitglied der Berlinale-Jury, über das Filmemachen in China in der Tauwetterperiode  ■ Von Stephan Bachenheimer

Zhang Yimou, der als Chinas erfolgreichster Regisseur gilt, gehörte der elfköpfigen Jury der 43. Berliner Filmfestspiele an. Der Sohn einer Offiziersfamilie wurde in der Kulturrevolution 1968 zur Umerziehung aufs Land geschickt und besuchte später die wiedereröffnete Pekinger Filmhochschule. Zusammen mit Chen Gaige, Tian Zhuangzhuang und Zhang Junzhao verließ er 1982 die Akademie und arbeitete als Schauspieler, Kameramann und Regisseur. Zu seinen bekanntesten Regiewerken gehören „Rotes Kornfeld“, „Judou“ und „Die rote Laterne“. Neben einem Goldenen Bären (1988) für „Rotes Kornfeld“ erhielt Zhang über ein Dutzend weiterer internationaler Auszeichnungen. Zhangs neuester Film „Die Geschichte der Qiu Ju“ erhielt 1992 in Venedig einen Silbernen Löwen.

Im Gegensatz zum stereotypen Realismus, der das chinesische Kino seit 1949 beherrscht hatte, führte der heute 43jährige experimentelle Techniken und eine neue Filmsprache ein. Da seine Produktionen obendrein häufig gesellschaftskritische Sittengemälde waren, blieben gerade die im Ausland erfolgreichen Filme in China lange Zeit verboten. Die sogenannten „Blumen, die innerhalb der Mauer blühen und draußen duften“, wurden erst vor einigen Monaten auch dem chinesischen Publikum zugänglich.

taz: Nachdem Sie 1988 mit „Rotes Kornfeld“ auf den Berliner Filmfestspielen erfolgreich waren, sind Sie nun zum ersten Mal Mitglied der Berlinale-Jury. Hätten sie nicht lieber ihren eigenen neuen Film „Die Geschichte der Qiu Ju“ vorgestellt?

Zhang: Für mich ist das gleich. Es freut mich beides – als Jurymitglied oder als Regisseur in Berlin zu sein. Mein erster Film hatte hier Premiere, und deshalb habe ich ein besonders emotionales Verhältnis zu Berlin.

Ihre Filme „Judou“ und „Rote Laterne“ waren in China bis vor kurzem verboten. Neuerdings erhalten sie von höchster politischer Stelle Anerkennung, ihr „herausragendes Talent und großes Können“ wird gelobt. „Die Geschichte der Qiu Ju“ wurde sogar in der Pekinger „Großen Halle des Volkes“ offiziell vorgestellt. Was ist der Grund für diesen Sinneswandel?

Es ist wohl darauf zurückzuführen, daß seit Deng Xiaopings letzter Rede die Regierung sich bemüht, mehr kulturelle Offenheit zu demonstrieren. In Wirklichkeit ist eine solche „Öffnung“ aber nur in sehr geringem Umfang vorhanden.

Ihr Film „Rotes Kornfeld“ hatte die höchsten Kasseneinnahmen, die ein chinesischer Film im Ausland je erreicht hat. Gilt in der chinesischen Filmindustrie, die in einer Finanzkrise steckt, nun vielleicht auch Dengs Motto „Egal ob eine Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache sie fängt Mäuse“? Hat ökonomisches Kalkül zu mehr Toleranz geführt?

Es scheint, als ob im Moment dieser Satz noch nicht für den Kulturbereich gilt. Die Regierung betrachtet Film immer noch als ein ideologisches Produkt, als Erziehungsinstrument, und sie ist natürlich bemüht, alle ideologischen Mittel zu kontrollieren. Es ist also nicht so, daß, wenn ein Film großen Anklang findet und die Kasse klingelt, dieser Film auch grünes Licht hat. Man kann sagen, daß im Filmbereich die Marktwirtschaft noch nicht Fuß gefaßt hat.

Das heißt, es gibt also weiterhin Schranken für Sie als Filmemacher?

Natürlich.

Wie würden Sie die Arbeitsbedingungen Ihrer, der sogenannten „Fünften Generation“ chinesischer Filmemacher beschreiben?

Entscheidend ist, daß man ein ganzes System von Instanzen passiert. Jedes Projekt eines Regisseurs muß durch mindestens zwei Überprüfungen. Einmal wird das Drehbuch überprüft, und wenn der Film dann fertig ist, muß er noch als Ganzes, in seiner ästhetischen Umsetzung abgenommen werden. Und dieses jahrzehntealte Überprüfungssystem hat sich bis heute nicht geändert.

Ihr neuer Film „Die Geschichte der Qiu Ju“ wird für seinen „Realismus“ gelobt, da sie auch mit versteckter Kamera gearbeitet haben. War das ein Zugeständnis an die Zensur?

Nein, die realistischen Szenen sind nicht aus einem Kompromiß heraus entstanden, sondern lediglich aus künstlerischen Erwägungen.

Bei der Tagung des chinesischen Volkskongresses im März soll die Marktwirtschaft Verfassungsrang erhalten. Erhoffen Sie sich von dem neuen politischen Klima auch Auswirkungen auf die Kulturpolitik?

Das betrifft in erster Linie die Wirtschaft, da gibt es viele positive Entwicklungen. Aber wie gesagt: Film wird als ideologisches Produkt angesehen, als ein Produkt des gesellschaftlichen Bewußtseins, da sehe ich nicht eine so große Veränderung oder eine so große Hoffnung wie im Wirtschaftsbereich. Objektiv wird es eine sehr lange Zeit dauern, ehe der Film sich wirklich öffnet, konsequent liberalisiert wird und auch hier die Marktwirtschaft richtig Fuß faßt.

Verändert sich der Film in der Volksrepublik durch Produktionsgelder aus Taiwan oder Hongkong?

Man kann es vielleicht so formulieren: Gleichgültig von wo das Geld kommt, ob vom Kontinent oder von außerhalb, die Zensur und das Kontrollsystem bleiben gleich. Es gibt noch keine eindeutigen Zeichen dafür, ob die ausländischen Investitionen dazu beitragen, daß die Zensur lockerer wird.

Fast alle chinesischen Filme, die in diesem Jahr auf der Berlinale vorgestellt wurden, beschäftigen sich mit spezifisch chinesischen Problemen und Themenkomplexen, dem Konflikt zwischen Tradition und Moderne, der Stellung des Individuums in der Gesellschaft usw. Hat der chinesische Film auch eine internationale Zukunft?

Ich meine, wenn man international werden will, muß man nicht nur internationale Themen nehmen. Es gibt chinesische Regisseure, die versucht haben, transkulturelle Themen aufzugreifen. Die sind mit dieser Strategie aber nicht unbedingt erfolgreich gewesen. Es ist, glaube ich, besser, Themen zu verfilmen, die man aus unmittelbarer Nähe kennt.

Haben die Filmemacher in Taiwan bereits einen großen Vorsprung vor der Volksrepublik?

Natürlich, sie haben sehr viele Vorteile. Die Regisseure waren meistens im Ausland oder hatten mit dem westlichen Ausland Kontakte, die meisten sprechen Englisch, es gibt keine Zensur in dem Ausmaß wie bei uns.

Ihr Kollege Chen Gaige, der mit ihnen auf der Pekinger Filmhochschule war, lebt seit einigen Jahren in New York. Haben Sie darüber nachgedacht, ebenfalls ins Ausland zu gehen, um unter einfacheren Bedingungen zu produzieren?

Nein, ich möchte in China bleiben, weil es für mich sehr wichtig ist, daß ich unmittelbaren, direkten Kontakt zu den Chinesen habe. Natürlich gibt es sehr viel Schwierigkeiten, wenn man in China lebt und arbeitet – aber man behält eben auch eine bestimmte Authentizität.

Es heißt, sie hätten die Hauptdarstellerin ihrer letzten Filme, Gong Li, geheiratet.

Nein, noch nicht offiziell, das bleibt eine Sache der Zukunft.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Ich beginne im Sommer dieses Jahres mit den Dreharbeiten zu einer Familiengeschichte. Es wird eine Chronik , die sich über 60 Jahre erstreckt, eine sehr bewegende Geschichte. Ich zeige damit etwas, das so ziemlich jede chinesische Familie in den letzten 60 Jahren durchgemacht hat.

Eine Zeitung in Hongkong berichtete, daß Sie eine Komödie drehen wollen.

Ja, aber das ist erstmal geplatzt. Ich werde es aber sehr wahrscheinlich nachholen, weil ich mich in unterschiedlichen Stilrichtungen und Genres üben will.