Hoechst schleierhaft

Nach dem Chemieunfall: Hessens Umweltminister Fischer zitiert Vorstandsriege der Hoechst AG nach Wiesbaden/  ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Kingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Das gab's noch nie in der Geschichte des Hessenlandes: Umweltminister Joschka Fischer (Bündnis 90/ Grüne) zitierte gestern den Vorstand der Hoechst AG in sein Ministerium, um den Herren die Leviten zu lesen. Der Minister übte „scharfe Kritik“ an der Informationspolitik des Konzerns nach dem schweren Betriebsunfall vom vergangenen Montag, bei dem – wie erst zwei Tage später zugegeben wurde – insgesamt zehn Tonnen einer Grundstoffmixtur für die Farbenherstellung in den Himmel über dem westlichen Frankfurt geschleudert wurden.

Das von der Hoechst AG zunächst als „nach DIN mindergiftige Substanz“ ausgewiesene Gemisch aus o-Nitroanisol und anderen Chemikalien wird von Experten inzwischen als „krebserregend und erbgutschädigend“ eingeschätzt. Akut, so etwa der Kieler Wissenschaftler Wassermann, könne die Substanz Haut- und Augenverätzungen verursachen. Im Kreiskrankenhaus Höchst sind inzwischen rund 40 Personen nach Kontamination mit den Giftstoffen behandelt worden. Als „Frechheit“ bezeichnete Wassermann die Einlassung der Hoechst AG, daß Privatpersonen ihre Fenster und Balkone selbst von der klebrigen, gelbbraunen Chemikalie zu reinigen hätten: „Das ist Sache des Verursachers.“ Wassermann glaubt, daß „kluge Juristen“ ebenfalls zu dieser Auffassung gelangen müßten.

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) hat inzwischen Strafanzeige gegen die Verantwortlichen der Hoechst AG erstattet – wegen des „Verdachts auf Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen des Umweltschutzes“ und wegen des „Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung“.

Noch herrscht in den betroffenen Stadtteilen Griesheim, Goldstein und Schwanheim völlige Unklarheit darüber, ob etwa Gemüse oder Feldsalat aus den zahlreichen Kleingärten verzehrt werden kann – oder nicht. Joschka Fischer jedenfalls hat die gesamte Anlage der Hoechst AG im Werk Griesheim bis auf weiteres stillegen lassen. Der Konzern sei aufgefordert worden, kurzfristig ein „umfassendes Sanierungs- und Entgiftungskonzept“ für die mit den Chemikalien belastete Umwelt vorzulegen und mit der Aufsichtsbehörde abzustimmen. Die Informationspolitik der Hoechst AG bezeichnete Fischer als „so nicht länger hinnehmbar“. Der Minister kündigte die Einrichtung einer Arbeitsgruppe aus Landes- und städtischen Behörden und der Hoechst AG an, damit in Zukunft der schnelle Zugang zu allen Informationen des Betreibers sichergestellt werden könne.