Eine g'scheite Anarchie braucht einen starken Anarchen

■ In der Nachfolge des „Oberhundlings“ FJ Strauß ist Max Streibl halt nur ein Krampf – und zuviel Krampf vertragen auch Bayerns Schwarze nicht

München ist weiß. Schneeweiß wie schon lange nicht mehr. Am Aschermittwochmorgen muß man sich den Weg freischaufeln, um zum nächsten Zeitungskiosk zu kommen. Auf den Straßen der bayerischen Landeshauptstadt eher bläuliche Gestalten, die den Münchner Kehraus noch im Gesicht haben. Der Händler hat den Bayernkurier (das CSU-Zentralorgan) nicht. „Versuchens as doch amoi am Hauptbahnhof. Woanders wernsas da schwer ham.“

Indiz für die seit Wochen erwartete Götterdämmerung im Freistaat? Laut neuesten Umfragen ist die CSU mitsamt ihrem Oberamigo Streibl auf etwa 40 Prozent abgesackt. Insofern gewiß symbolisch, daß sich die 7.000 Getreuen der Staatspartei – die bei den letzten Landtagswahlen noch fast 55 Prozent der Stimmen einfuhr – zu ihrem traditionellen politischen Aschermittwoch in der Nibelungenhalle treffen; in Passau wird Nibelungentreue eingefordert.

Bayern ist schwarz. Bloß kann schwarz dabei vieles bedeuten. „In Bayern gibt es 60 Prozent Anarchisten, und die wählen alle die CSU“, hat Achternbusch mal vor Jahren gesagt. Klar ist, daß die Tatsache, daß ein bayerischer Ministerpräsident in Brasilien Bier säuft und auf von BMW gesponsorten Motoradln rumsaust, kein Grund ist, ihn abzusägen. „Spezlwirtschaft“ und das Prinzip „Hund samma scho“ gehören zu Bayern wie die Weißwurscht und der Zwiebelturm. Aber nach bayerischem Selbstverständnis braucht eine g'scheite Anarchie einen starken Anarchen. Und in der Nachfolge des Oberhundlings FJ Strauß ist Streibl halt nur der kleine Maxl. Sein lauer Spruch „Ich halte es sogar für meine Pflicht, für bayerische Produkte Imagewerbung zu betreiben“ klingt in bayerischen Ohren einfach wie das, was es ist: ein Krampf. Und zuviel Krampf vertragen auch bayerische Schwarze nicht.

Niederbayern, also auch Passau und Vilshofen, ist Konjunktivcountry: Nirgendwo in Deutschland werden Konjunktiv und Konditional (teilweise mit wunderbaren eigenen Formen) so gepflegt. Vielleicht finden die bayerischen Fensterreden zum Aschermittwoch deshalb alle in Niederbayern statt. Weil man da so schön sagen kann: Was ma dadat, wemma kennat und wias gherat, damits gangat (für Preißen: was man täte, wenn man könnte und wie es sich gehörte, damit's ginge).

Das gilt natürlich auch und gerade für die bayerischen Roten, die seit der Gründung der bayerischen SPD durch Georg von Vollmar vor über hundert Jahren im Konjunktiv zu leben gelernt haben. Die fesche Fränkin Renate Schmidt ist nach Jahrzehnten von schrecklichen Bläßlingen in der bayerischen SPD-Führung endlich eine Hoffnungsträgerin auf dem Weg zum Indikativ. Darum focht es sie auch nicht an, daß Streibl sie beim letzten Aschermittwoch als „Krampfhenne und Mäuserl“ bezeichnete. Selbst vielen CSUlern ist das inzwischen peinlich.

In Vilshofen, vom Aschermittwochtreffen der bayerischen SPD, krähte Renate Schmidt heute munter zurück. Daran, daß ein Streibl nur von seinen eigenen Diadochen, die derzeit noch Treueid um Treueid schwören, gemeuchelt werden kann, ändert aber auch sie nichts. Im übrigen ist ihr ein angeschlagener Streibl bei der nächsten Wahl als Gegner vermutlich lieber als ein neuer schwarzer Phönix, hieße er nun Waigel, Stoiber oder Glück. Aber nix g'wieß woas ma net. Die Hinterfotzigkeit innerhalb der Christlich-Sozialen Union ist grenzenlos, nicht umsonst liegt das Parteihauptquartier in der Lazarettstraße.

Bleiben die Grünen. In der Landeshauptstadt München haben sie sich unter Schmerzen mit der SPD in der Koalition halbwegs zusammengerauft, trotz des Populisten Kronawitter, dem demnächst in die Landespolitik abwandernden Oberbürgermeister. Mit ein bisserl Glück könnte Rot-Grün nach 36jähriger Alleinherrschaft der CSU eine weißblaue Perspektive werden. Vielleicht besinnt sich ja mancher Schwarzer im Freistaat angesichts des Amigosumpfes auf seine anarchistischen Wurzeln. Schee warat des scho. Thomas Pampuch, München