Durchs Dröhnland
: Der gute Stern der Beschränkung

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Das Beste zum Anfang. Wie jeder ehrliche und männliche Bierbauchträger von heute war auch ich in meiner selten wilden Jugend ein glühender Bewunderer der Cramps, hörte die legendären „Back from the Grave“-Sampler und konnte Verstärker nicht leiden, wenn sie noch nicht durchgebrannt waren. Komischerweise entwickelte ich mich dann ein wenig weiter, und plötzlich waren mir die Cramps etwas peinlich. Und als ich eigentlich schon alles vergessen hatte, kommt dann diese Platte daher und erinnert mich an dreckig scheppernde Riffs, Mülltonnen-Schlagzeug und vorsintflutliche Aufnahmetechniken. Und sie stammt ausgerechnet von Jon Spencer, der ehemals Pussy Galore zum Thron der besten artsy fartsy New Yorker Noise-Combo führte, danach mit Boss Hog versuchte Geld zu verdienen, aber trotzdem halbwegs stilsicher blieb, und sich zuletzt mit den amerikanischen Honeymoon Killers herumtrieb. Die Jon Spencer Blues Explosion begeht nicht den Fehler, den die Cramps zur Hälfte ihres Schaffens machten, als sie die zweite Gitarre mit einem Bass ersetzten. Spencer spielt ohne Bass, und vor allem tut die Band so, als könne sie es nicht, wobei man natürlich aus jeder Note die Berechnung in der Dilettanz heraushört. Natürlich hätte er es nicht nötig gehabt, sich von Kramer und Steve Albini produzieren zu lassen, aber zwei solche Namen machen sich halt hübsch auf der Platte. Wo die Cramps nur klassischen Rock 'n' Roll durch den Fleischwolf drehten, macht Spencer auch vor Blues nicht halt, und das ist gut so. Und das gefällt mir plötzlich wieder. Werde ich jetzt kindisch?

Am 26.2. um 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Daß Radiowellen keine Ländergrenzen kennen und kannten, beweisen einmal mehr Green Hill. Die sechs aus Erfurt kamen zwar erst 1990 zusammen, spielten dann aber gleich Wedding- Present-Coverversionen. Davon haben sie sich nur unwesentlich entfernt. Ihr Gitarrengeschrammel geht zwar ein Stück mehr in Richtung der Schmitzens und bemüht sich um einen dramatischeren Songaufbau, stellt aber doch vor allem englisch nieselnde Klagemauern in die Landschaft — wer's mag... Einziges Manko sind die Stimmen von Frank Hillmann und Susi Huß, die sich zwar alle erdenkliche Mühe geben, aber eher verzweifelt als gelangweilt klingen.

Am 26.2. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Paul Brody spielt Trompete in flüssigen, fließenden Linien, die die Grenzen des Cool-Jazz nur selten überschreiten und dann auch nur in leichten Free-Anklängen dümpeln. Am interessantesten wird die Musik seines Oktetts noch, wenn er die herkömmlichen angefunkten Rhythmusschienen verläßt und sein wohltemperiertes Blech mit einem satten Blues- Untergrund konfrontiert. Daher verwundert es dann doch nicht, wenn Brody sich ausgerechnet den gitarrespielenden lebenden Leichnam von Joey Albrecht zum Jammen ausgesucht hat. Der war in den frühen Siebzigern die treibende Kraft hinter Karthago, die damals von den einen als beste Rock-'n'-Roll-Band der BRD gehandelt und von den anderen für genauso von bloß archäologischem Interesse wie die namensgebende Stadt befunden wurden. Mit dabei ist noch der New Yorker Bassist Ed Schuller.

Am 26.2. um 23 Uhr in der Kulturfabrik, Lehrter Straße, Moabit

Es ist ein bißchen blöd, aber man wundert sich doch immer wieder, daß aus Belgien nicht nur Stoff zum Tanzen kommt. Jason Rawhead sind auch so ein Beispiel, denn obwohl sie auf dem klassischen EBM-Label „Play It Again Sam“ herauskommen, ist das Trio vor allem bestrebt, seine Gitarren möglichst fies zu verstärken. Das Ergebnis ist manchmal satter, manchmal gemütlicher Hardrock, manchmal wie direkt aus den Siebzigern, manchmal sogar beste AC/DC-Tradition mit vielen Lücken und dem einen, sehr schlichten, aber genialen Riff. Trotzdem bieten Jason Rawhead mehr, sind in der Lage, in diese rockende Dumpfheit überraschende Rhythmen einzubauen. Sie versuchen sich sogar an Reggae-Metal, wobei ihnen allerdings jene Eleganz abgeht, die zum Beispiel die Bad Brains beim selben Unterfangen auszeichnete. Genau dieses träge Bemühen, dieses zähe Beharren auf Dingen, die man zwar technisch kann, für die einem aber das Gefühl abgeht, macht die drei Belgier so sympathisch. Wie ein ausgelutschter Kaugummi, der aus Versehen noch einmal durchgekaut wird und dabei überraschend frisch schmeckt.

Wenn Jason Rawhead mit ihren klaren Linien eine altmodische Moderne repräsentieren, sind Waltari definitiv Postmoderne. Den vier Finnen ist nichts heilig, was man in eine klassische Rockbesetzung einbauen kann. Mit Namen, die einem beim Hören so durch den Kopf schießen, könnte man wohl problemlos mehrere Lexika füllen. Ihr Bestreben, die Geschichte des Rock 'n' Roll in die eigenen hektischen 4/4-Takte zu zwängen, scheint allerdings kein akademisches zu sein. Mit Coverversionen von Madonna und den Beatles dokumentieren sie, daß Musik für sie vor allem spaßig zu sein hat, was eine unglaubliche Unverkrampftheit zu Folge hat. Für so dreiste Adepten wie diese Finnen sicher das Ehrlichste.

Am 27.2. um 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt

Um ehrlich zu sein, gingen mir die Throwing Muses mit ihrem kieksigen Geträller immer auf die Nerven. Um so skeptischer war ich dann auch bei sämtlichen Post-Muses-Projekten der Ex- Muses-Gitarristin Tanya Donelly. Nachdem auch aus den Breeders nicht viel geworden ist, versucht sie es nun mit zwei Herren an ihrer Seite als Belly und wischt meine Bedenken schon mit dem ersten Stück der Debüt-LP „Star“ beiseite. „Don't you have someone to die for?“ singt sie da, ohne auch nur in Ansätzen so maniriert zu flöten wie früher. Dabei untermalt von unaufdringlich schlichter, fast zeitloser Gitarrenbegleitung. Die Instrumentierung wird dann zwar erweitert, die Stimmungen wechseln, das Tempo wird schneller, aber über allem steht der gute Stern der Beschränkung. Das Nötigste ist gerade gut genug, ohne daß man die Fleischeinlage vermissen würde. Ganz selten erinnern Belly dann sogar an Suzanne Vega in ihren poppigsten Momenten – und das ist kein Vorwurf. Übrigbehalten aus ihren Musenzeiten hat Donelly einen leichten Hang zum Überdrehten, der aber nie aufdringlich wird, sondern so dezent daherkommt, daß sich der New Musical Express dazu verleiten ließ, Belly als „a ,Modern Rock‘ marketing man's wet dream“ zu bezeichnen.

Am 28.2. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Vier junge Männer – zwei studieren Kunst, einer Geschichte, einer Englisch – beschließen, eine Band zu gründen. Sie hängen sich ihre Instrumente um, beehren die heimatlichen Clubs rauf und runter, nehmen ein Demo im Wohnzimmer eines Freundes auf und spielen – da wäre nie einer drauf gekommen – Rockmusik. Kennen Sie die Geschichte? Ja? Schon zu oft gehört? Genau. Was nichts daran ändert, daß diese Geschichte anscheinend nicht ihren Reiz verliert für junge Männer. Die vier speziellen Herren, um die es hier geht, nennen sich Sloan, stammen aus Halifax, Kanada, und fielen der Plattenfirma Geffen zum Opfer, die immer noch auf der Suche nach einer Band ist, die die Pause bis zur nächsten Nirvana-Veröffentlichung ähnlich lukrativ überbrücken hilft. Das werden Sloan nicht schaffen, aber drei, vier Perlen finden sich auch bei ihnen. Ansonsten bleibt alles beim alten: Vier junge Männer spielen Rockmusik.

Am 4.3. um 20.30 Uhr im Loft Thomas Winkler