■ Die Brüsseler Stahlkonferenz ist kein Krisenmanagement
: Der Markt soll es richten

Ein umfassendes staatliches Krisenmanagement zur Lösung der europaweiten Stahlkrise wird es nicht geben. Die europäischen Industrie-und Wirtschaftminister setzen statt dessen – wie die EG-Kommission auch – auf einen „freiwilligen“ Kapazitätsabbau durch die Stahlkonzerne selbst. Unternehmen, die ihre Anlagen stillegen, sollen dafür aus EG- und nationalen Töpfen Mittel zur sozialen Abfederung des Arbeitsplatzabbaus erhalten. Die IG-Metall und die Bonner Opposition fordern dagegen weiterhin, daß die EG-Kommission die Möglichkeiten des Montanvertrages nutzt und nach dem Muster der letzten großen Stahlkrise europaweit Produktionsquoten und -preise festlegt. Diese Zeit brauche man, um auch die von den Gewerkschaften als unvermeidlich betrachtete Schrumpfung abzufedern und den Wandel in den europäischen Stahlregionen gezielt zu gestalten. Manche Betriebsräte haben dafür den Begriff vom „solidarischen Schrumpfen“ geprägt. Auch ein solch politisch gesteuerter Prozeß wäre gewiß nicht ohne Proteste über die Bühne gegangen, aber er hätte die Chance geboten, die Verwerfungen des Jeder gegen jeden zu begrenzen. Diese Hoffnung kann man nun begraben.

Am Horizont zeichnen sich jetzt schon gefährliche Entwicklungen ab. Die Propaganda der deutschen Stahlmanager, die die Ursachen für die Krise der von ihnen geführten Konzerne vor allem auf die Subventionspraxis in den europäischen Nachbarländern und auf die osteuropäischen Billigimporte abzuwälzen trachten, trägt bei der Politik und in den Stahlbetrieben schon ihre faulen Früchte. Die Suche nach Sündenböcken hat Konjunktur. „Außenschutz gegen Dumpingpreise, die hier Arbeitsplätze vernichten“, verlangt etwa NRW-Ministerpräsident Johannes Rau in jedem Interview. Sein Genosse Arbeitsminister spricht von einem „Vernichtungswettbewerb von außen“ und der Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei fordert von Bonn fast täglich, in Brüssel „die nationalen Interessen mit mehr Nachdruck wahrzunehmen“. Solche Töne, die die Stahlbosse selbst auf jeder Betriebsversammlung zum besten geben, gehen am Kern des Problems schlicht vorbei. 132 Millionen Tonnen Stahl wurden im letzten Jahre in der EG produziert. 5,2 Millionen Tonnen kamen aus den osteuropäischen Ländern. Auch in Deutschland fällt der osteuropäische Stahl kaum ins Gewicht. Zwar haben die Importe um 500.000 Tonnen im vergangenen auf etwa eine Million Tonnen erheblich zugenommen, aber der drastische Produktionsrückgang erklärt sich daraus nicht. Allein im Westen ging die Rohstahlerzeugung von 41 Millionen Jahrestonnen in den Jahren 1988 und 1989 auf 36,8 Millionen Jahrestonnen 1992 zurück. Und die ostdeutsche Produktion sank seit der Wiedervereinigung sogar von etwa neun Millionen Jahrestonnen auf rund drei Millionen Tonnen. Das hat viel mit einer verfehlten Vereinigungs-, Wirtschafts- und Finanzpolitik und nichts mit osteuropäischen Dumpingpreisen zu tun. Tatsächlich sind die Probleme im wesentlichen hausgemacht. Gravierende nationale Politikfehler, in Boom-Zeiten nicht angetastete Überkapazitäten und ein unvorhergesehener Konjunktureinbruch sind verantwortlich für den Absturz der Branche – alles anderes ist törichtes Gerede. Walter Jakobs