Somalias „gerupftes Huhn“ schlägt zu

Zum zweitenmal hintereinander schickt Kriegsherr Farah Aidid in Mogadischu seine Anhänger auf die Straße, um mit Waffengewalt gegen die US-Truppen zu demonstrieren  ■ Aus Mogadischu Bettina Gaus

„Wir werden angegriffen, wir werden angegriffen“, tönt es aus dem Funkgerät. „Wo bleiben eure Truppen?“ – „Bleiben Sie ruhig, wir kommen“, ist die Antwort zu vernehmen. Wer den Hilferuf ausgesandt hat, bleibt für diejenigen, die am Radio mithören, unklar. In Frage kommen viele: Die Gegend in Somalias Hauptstadt Mogadischu unweit des Flughafens, in der die meisten ausländischen Organisationen ihren Sitz haben, ist zum Schlachtfeld geworden.

UNO-Büros und nichtstaatliche Hilfswerke sind seit dem Vormittag belagert und umzingelt. Über Stunden hinweg standen die ausländischen Institutionen unter Beschuß – im wörtlichen Sinne: Während US-Sonderbotschafter Robert Oakley noch vor wenigen Tagen die Situation somalischer Kriegsfürsten mit der eines „gerupften Huhns“ verglichen hatte, das nicht mehr fliegen könne, feuerten bewaffnete Somalis gestern stundenlang mit scharfer Munition und zeigten damit, daß trotz spektakulärer Entwaffnungsaktionen Mogadischu nicht unter Kontrolle der ausländischen Militärs steht.

Die Unruhen im südlichen Teil der Stadt hatten am Mittwoch mit Demonstrationen, Straßenblockaden, brennenden Autoreifen und der Plünderung der ägyptischen Botschaft begonnen. Die ausländischen Truppen, die Anfang Dezember in das bürgerkriegszerrissene Land geschickt worden waren, waren aus dem Straßenbild weitgehend verschwunden und nur an wenigen strategisch wichtigen Punkten der Stadt vertreten.

Zeugenaussagen zufolge sollen US-Militärs am Mittwoch mehrere Somalis erschossen haben, was von offizieller Seite allerdings bestritten wird. „Die Amerikaner haben Probleme mit dem Gebrauch von Schußwaffen“, erklärte ein UN-Mitarbeiter gegenüber der taz. „Sie haben Befehl, nur dann zu schießen, wenn sie direkt angegriffen werden. Jetzt scheint Verwirrung darüber zu herrschen, ob sie eingreifen dürfen, wenn ausländische Hilfsorganisationen und deren Vertreter bedroht werden.“

Die Invasion der ersten US- Truppen Anfang Dezember war in Mogadischu von weiten Teilen der Bevölkerung mit Freude und Erleichterung begrüßt worden. Bislang jedoch haben sich ihre Erwartungen nicht erfüllt – die Militärs aus insgesamt über dreißig Staaten haben die Lage nicht im Griff. Das zeigte sich auf drastische Weise zu Wochenbeginn in der südlichen Hafenstadt Kismayo: Obwohl dort bereits seit Dezember ausländische Truppen stationiert sind, gelang es General Morgan, dem Schwiegersohn des gestürzten Diktators Siad Barre, die Stadt zu erobern und die bislang dort herrschende mit dem mächtigen General Farah Aidid verbündete Bürgerkriegspartei zu vertreiben.

Diese Entwicklung war der Funke, der in Mogadischu das Pulverfaß explodieren ließ. Aidid wandte sich in einer Rundfunkansprache an die Bevölkerung und rief sie dazu auf, ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. In der somalischen Hauptstadt herrscht auch bei vielen, die nicht Anhänger von Aidid sind, Unverständnis und Empörung über die Ereignisse in Kismayu. Die ursprüngliche Dankbarkeit für die Hilfe der Vereinigten Staaten droht nun aus Enttäuschung in eine feindselige Haltung gegenüber allen Ausländern umzuschlagen, die in den nächsten Tagen weiter eskalieren könnte.