Der Staat muß den Markt schaffen

Industrielle Kerne in Ostdeutschland (1): Die Deutsche Waggonbau AG produziert Eisenbahnwagen, die in den GUS-Staaten dringend gebraucht werden. Aber dort fehlen die Devisen  ■ Aus Dessau Erwin Single

Jürgen Konrad wünscht sich seit langem ein Machtwort aus Bonn. „Die verantwortlichen Politiker müssen endlich die Bedingungen für eine fundierte Wirtschaftsentwicklung in den neuen Ländern schaffen“, schrieb der Konzernbetriebsratsvorsitzende der Deutschen Waggonbau in der Hauspostille, „die letzten zwei Jahre haben schließlich gezeigt, daß die Parolen von der Selbstfinanzierung und der Selbstheilung nach dem Motto: der Markt wird's schon richten, einfach nicht hinhauen“. Und auch sein Chef, der DWA-Vorstandsvorsitzende Peter Witt, pflichtet bei: Wer in Ostdeutschland als Unternehmer arbeite, weiß der ehemalige Jacobs-Suchard-Manager aus eigener Erfahrung, der könne die „reinen Lehren der Marktwirtschaft schlicht vergessen“.

Was der Markt nicht regelt, das will neuerdings der Kanzler selbst in die Hand nehmen. Die noch nicht privatisierten Ladenhüter der Treuhand, so der Kohl-Plan, sollen, soweit es geht, erhalten und auf Marktkurs getrimmt werden. Doch bei der DWA, Europas größtem Waggonbauer, braucht man die Milliardensubventionen aus der Haushaltskasse für die Sanierung gar nicht. Denn das Unternehmen mit Sitz im Osten Berlins ist eines der ganz wenigen Treuhand-Unternehmen, das schwarze Zahlen schreibt. Rund zwei Milliarden Mark setzt die DWA mit ihren 9.500 Beschäftigen im Jahr um; der Gewinn belief sich 1991 auf immerhin 20,6 Milliarden Mark, für 1992 wird mit einen ähnlich hohen Überschuß gerechnet. „Wir sind der einzig funktionierende Konzern im Osten“, sagt Vorstandsmitglied Siegfried Möbius nicht ohne Stolz.

Die Sache hat nur einen Haken: Das Unternehmen ist wegen seiner Größe so gut wie unverkäuflich. Knapp 5.000 Waggons, vom Reisezugwagen bis zur Straßenbahn, verlassen jährlich die DWA-Produktionsstätten – das sind etwa genauso viele, wie alle westdeutschen Schienenfahrzeuganbieter zusammen herstellen. Selbst ein Konsortium aus den Branchenführern Siemens, ABB Henschel und AEG würde sich an dem Brocken nicht nur verschlucken, sondern sich zudem wahrscheinlich vom Bundeskartellamt ein Veto einhandeln. Doch ohne starken Partner, das wissen auch die DWA-Vorständler, können aus der schwarzen Bilanz schon bald rote Zahlen werden. Denn das Unternehmen, das im Kern aus den fünf Produktionsstätten Ammendorf, Dessau, Görlitz, Niesky und Bautzen, drei Komponentenanbietern sowie einem Forschungsinstitut besteht, ist immer noch zu stark von den Ostmärkten abhängig.

Über zwei Drittel der Aufträge erhalten die Waggonbauer aus den GUS-Staaten, das Volumen der Verträge und Optionen für dieses Jahr beläuft sich auf 1,2 Milliarden Mark. Nur noch die Zusage aus dem Bonner Finanzministerium fehlt, die Geschäfte durch Hermes- Kreditbürgschaften abzusichern. Ohne diesen Bundessegen sehen die Zunkunftsaussichten schlecht aus. „Unsere Erzeugnisse werden dort dringend gebraucht“, sagt Möbius und rechnet vor, daß allein die Russische Staatsbahn durch den um 25 Prozent gestiegenen Zugverkehr rund 10.000 weitere Reisezugwagen benötigt. Die 50 Tonnen schweren Ungetüme vom Typ WPX-K, die täglich zwischen Brest und Wladiwostock hin und her rollen, werden bei der DWA in Ammendorf in gigantischen Lieferserien hergestellt – rund 1.300 waren es im letzten Jahr. Aber die Russen können bekanntlich nicht einmal die Zinsen bezahlen, und wie lange der Bund den Export noch finanziert, ist unklar. Zwar wird an einer Neuordnung der Hermes-Kredite gearbeitet, am Grunddilemma des Osthandels ändert das jedoch nichts: Die Gussen brauchen Devisen, die ihnen fehlen, weil sie derzeit kaum mehr als ein wenig Gas, Kohle und Öl auf dem Weltmarkt feilbieten können.

So dürfte die Bestellung von 275 Doppelstockwagen durch die Reichs- und Bundesbahn für die DWA-Crew strategisch von weit größerem Wert für die Markt- und Produktbereinigung des Unternehmens sein als die Reisezug-, Güter- und Kühlwagen für die GUS-Länder. Zwar sind die Waggonbauer inzwischen auch auf den Westmärkten gut im Geschäft. Weil aber die EG-Staaten die Ausschreibungen für ihre Staatsbahnen so stückeln, daß meist nur die nationale Schinenfahrzeugindustrie zum Zug kommt, muß sich die DWA auch hier an den Staat halten. Die Bahn, neben der Telekom der größte Investor in Ostdeutschland, hat bereits eine Einkaufsoffensive in den neuen Bundesländern gestartet und für 18 Milliarden Mark Aufträge vergeben. Davon profitiert auch die DWA: Neben den Doppelstockwagen lassen die deutschen Eisenbahnen aus Dessau und Niesky Spezialgüterwagen liefern und in Bautzen Interregio-Wagen umbauen. Auftragsvolumen: rund eine halbe Milliarde Mark – das sind 20 Prozent der gesamten Fahrzeugeinkäufe der Bahn. „Natürlich hätten wir die Wagen auch im Westen bestellen können“, verkündete Bahn- Chef Heinz Dürr auf der Leipziger Treuhand-Messe im Dezember. Doch für die DWA hat das Geschäft einen Pferdefuß: Um die Aufträge zu bekommen, mußte knallhart kalkuliert werden; mit den erzielten Preisen ist kaum etwas verdient.

Angesichts der gigantischen Kapazitäten wissen die Waggonbauer, was nötig wäre, um möglichst viel von ihrem Unternehmen zu erhalten: „Für uns“, so der gelernte Diplomingnieur Conrad, „ist eine zukunftsträchtige Verkehrspolitik notwendig, die auf die Schiene setzt.“ Wie schwierig es ist, die Betriebe auszulasten, zeigt das Beispiel Niesky. Der Güterwagenmarkt wird buchstäblich mit Billigwaggons überrollt, nur noch mit Spezialwagen läßt sich Geld verdienen. Das Werk in der Oberlausitz ist deshalb nur zu zwei Dritteln ausgelastet und arbeitet mit Verlusten, die in anderen Produktionsstätten kompensiert werden müssen. Aber eine Stillegung kommt, nicht zuletzt wegen des politischen Drucks aus der Dresdner Staatskanzlei, derzeit noch nicht in Frage – schließlich würde die ohnehin gebeutelte Region dann noch mehr ausbluten. Dennoch kommen die Waggonbauer wohl nicht umhin, Teile ihrer unrentablen Fertigungszweige einzustellen.

DWA-Chef Witt aber denkt einen Schritt weiter. „Wir müssen weg von der spezialisierten Produktion. Nur als Systemanbieter können wir überleben. Dafür brauchen wir strategische Partnerschaften, um neue Produktlinien aufzubauen.“ Die Treuhand will die DWA mit allen Mitteln als Ganzes erhalten. Noch hat sich kein kapitalkräftiger und attraktiver Partner gefunden. Vielleicht endet der Waggonbauriese doch als das, was im Herbst einmal ausbaldowert wurde – als Stiftung.