Kröning: An der Basis werde ich besser verstanden...

■ Interview mit dem Bremer Finanzsenator zu den Bund-Länder-Finanzverhandlungen in Bonn und zum dem Zustand der Bremer SPD

Kröning: An der Basis werde ich besser verstanden...

Interview mit dem Bremer Finanzsenator zu den Bund-Länder-Finanzverhandlungen in Bonn und zum dem Zustand der Bremer SPD

taz: Der Bundesfinanzminister verspricht Bremen und dem Saarland jährlich einen Sanierungsbetrag von 2,5 Milliarden, der Bundesrat 3,4 Milliarden, und das 5 Jahre lang - wer ist denn bisher bereit, dafür zu bezahlen?

Kröning: Ja, unter den Ländern liegen wir günstiger als beim Bund - der Kompromiß muß vor oder nach Ostern gefunden werden. Die Länder sind sogar bereit, die Sanierung Bremens und des Saarlandes 1994 beginnen zu lassen. Das Volumen teilt sich in 1,8 bzw. 1,6 Mrd. DM. Bei dem Nachteilsausgleich hat sich gezeigt, daß sie auch grundsätzlich zur Mitfinanzierung bereit sind. Über das Verhältnis ist man sich noch nicht einig. Ich nehme an, daß dies ein Rechenposten - und sogar nur ein kleiner - in der Gesamtrechnung des Solidarpaktes werden wird.

Wenn es 1,8 Milliarden werden, was heißt das für das bremische Sanierungsprogramm?

Wir hätten dann eine beinahe Punktlandung erreicht. Aus unserem Programm ergibt sich die Forderung 1,875 Mrd. ab 1993. Doch wir dürfen nicht in Euphorie verfallen. Wir werden auch durch die Finanzreform 1995 belastet werden. Auch hier liegen Länder und Bund noch meilenweit auseinander. Die Belastung Bremens kann im schlimmsten Fall 600 Mio DM jährlich betragen - das wäre nicht verkraftbar -, im besten Fall 150 Mio DM. Auch das wäre nur bei nachhaltiger Stärkung der finanziellen und wirtschaftlichen Eigenkräfte leistbar.

Das jahrelange Gerede über das Sparen geht vielen inzwischen auf die Nerven. Fürchten Sie manchmal um den sozialen Frieden?

Ich meine, daß die politischen Parteien allgemein die Einsichtsfähigkeit der kleinen Leute nicht unterschätzen sollten. Es kommt nur darauf an, daß alle das Gefühl behalten, daß die Lastenverteilung ausgewogen bleibt. Jemand, der sein Leben lang seine Rente erarbeitet hat, darf nicht in eine Situation getrieben werden, daß er zum Sozialamt gehen muß. Die Sorge haben vor allem ältere Menschen. Wir dürfen Sozialtransfers nicht so beschneiden, daß wir die Menschen in die Schwarzarbeit treiben. Dieses ohnehin schon im Verhältnis zu den politischen Parteien vorhandene Gefühl „Wir unten, die oben“ darf sich nicht verschärfen.

Wenn wir die Bürger zu zusätzlichen Abgaben und Steuern heranziehen, müssen wir im übrigen mehr als bisher deutlich machen, daß wir wirklich spar

Der Bremens Finanzsenator Volker Kröning, hier aus Anlaß des Becks-Anstichs, in guter Gesellschaft ... Foto: taz-Archiv/K.W.

sam mit dem Steuergeld umgehen und wirklich Prioritäten setzen.

Gerade hat der Senat wieder einen Sparbeschluß über 140 Millionen gefaßt, ohne Prioritäten zu setzen - glauben Sie, daß die Ressorts das intern wirklich durchetzen?

Das war eine harmlose Anpassung der Haushaltsdaten 1993 an die Wirklichkeit. Man sollte nicht vergessen, daß die Koalitionsparteien sich am 11. Dezember 1991 just diese 140 Millionen mehr an Einsparungen für 1992/1993 vorgenommen hatten, die dann nach den ersten optimistischen Steuerschätzungen Ende 1991/ Anfang 1992 nicht umgesetzt wurden. Jetzt waren diese Einsparungen durch Verschlechterung der Konjunkturlage seit dem 4. Quartal 1992 notwendig.

Schaffen die Ressorts das?

Davon hängt der weitere Erfolg dieser Koalition ab. Ich tue das ja auch nicht aus Lust und Dollerei.

hier das foto mit genscher

Aber nach meiner festen Überzeugung und aufgrund meiner vielen Außenkontakte spüre ich, daß der Bürger vom Senat und von allen Parteien das erwartet. Davon hängt außerdem auf Gedeih und Verderb unser Erfolg im Bund-Länder-Verhältnis ab.

Ich tue das ja auch nicht

aus Lust und Dollerei

Ich stelle auch fest, daß diese gebündelte Aufgaben- und Ressourcen-Politik nicht eine Ein- oder Zweimann-Politik sein kann, sondern alle fordert, die Gremien Senat und Bürgerschaft und jeden einzelnen. Ich habe nichts gegen delegierte Ressourcenverantwortung des Einzelnen, aber sie muß klappen. Sie darf nicht darin bestehen, daß man immer nur darüber redet, was nicht geht und seine Bezugsgruppen gegen Beschlüsse mobilisiert, die man selber mitgefaßt hat. Sondern es ist nötig, daß man etwas mehr Phantasie und Kreativität dafür aufbringt, was geht.

Das heißt: Frau Gaertner soll nicht ...

Das gilt für jeden. Fast jeden.

Für wen besonders?

Da haben es natürlich die Koalitionsparteien mit ihren unterschiedlichen Mitglieds- und Wählergruppen besonders schwer. Aber wenn wir nicht langsam in dieser Koalition das Verständnis von Bindestrich- Politik überwinden: der eine ist nur für den Bindestrich Ökologie, der andere nur für den Bindestrich Ökonomie, und noch ein anderer nur für den dritten - Sozialpolitik - verantwortlich, dann finden wir nicht zueinander. Das muß ein Verhältnis produktiver Konkurrenz sein.

Wir müssen mit

Nullwachstum auskommen

Eine Einsicht ist unabweisbar: Wir müssen mit beinahe Nullwachstum gegenüber den Bürgern unsere Pflichten erfüllen. Wir werden nicht ohne Geld sein, aber wir könnten bald ohne Politik sein, wenn die Politik nicht mit der Herausforderung fertig wird, mit einer nicht mehr wachsenden Finanzmasse Leistungen zu erbringen. Wenn neue Aufgaben hinzukommen, müssen andere eingeschränkt werden.

Die Finanzkrise trifft die Bundesrepublik insgesamt. Sie haben einmal vor einem Währungsschnitt gewarnt.

... diese Warnung wurde mißverstanden. Ich glaube, daß es eine Generationen-Verantwortung gibt. Es geht um so etwas wie finanzielle Ökologie, um eine nachhaltige Ordnung von Aufgaben und Ressourcen in unserem Gemeinwesen. Das ist natürlich zugleich eine neue Lastenteilung zwischen den Gebietskörperschaften, zwischen den politischen und den wirtschaftlichen Akteuren, damit auch Arbeitgebern und Arbeitnehmern - zwischen Staat und Bürger. Ich rechne fest damit, wenn die politischen Manöver dieser Wochen in Potsdam und Bonn beendet sind, daß dabei ein Finanz- und Sozialpakt herauskommt, der nur mit der Finanzreform von 1969 vergleichbar ist.

Am allerwenigsten scheint ja den Ernst der Lage die Finanzabteilung bei Frau Uhl begriffen zu haben. Oder gibt es weniger bekannte größere Sünder?

Es ist nicht leicht, den eigenen Apparat in die Hand zu bekommen und ein konstruktives, faires Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung zustandezubringen. Das gilt für jeden von uns. Ich habe diese Erfahrung auch schon mehrere Male gemacht. Das spielt sich nicht alles in der Öffentlichkeit ab.

Meine Argumente kommen bei der Basis besser an

als bei den Funktionären

Es gibt offenbar doch einen besonderen Erklärungsbedarf aus Ihrer Rolle als Sozialdemokrat und als Sensen-Senator in dieser bremischen Finanzkrise - andere SPD-Senatoren schreiben keine offenen Briefe (vgl. taz vom 16.1.93).

Den Brief habe ich geschrieben, weil ich zweieinhalb Dutzend Parteiversammlungen und sonstige hinter mir habe und dort festgestellt habe, daß meine Argumente gut ankommen - aber offenbar bei der Basis besser als bei den Funktionären.

Stimmt der Eindruck, daß Ihr Brief in der SPD keine Rolle gespielt hat?

Nein. Mich hat eine Fülle von mündlichen und schriftlichen Reaktionen erreicht, von kürzeren und längeren Briefen, eine

ganze Reihe von Einladungen verschiedener Ortsvereine, auch Zirkel, die es hier und da wieder gibt. Die guten alten Fraktionen gibt es ja nicht mehr. Es sind Reaktionen von Menschen, die darüber nachdenken wollen, wie diese Partei sich inhaltlich und personell erneuern kann. Und ob noch ein Wille vorhanden ist, sich nicht aus der Regierungsverantwortung zu stehlen, auch nicht in schweren Zeiten.

Dazu muß sich etwas ändern

in der SPD

Das heißt: Ihr Brief steht im Zusammenhang mit der „Halbzeitbilanz“, mit der die Partei ihre Senatorinnen und Senatoren in den ersten beiden Koalitionsjahren bewerten will?

Das hat verschiedene Motive, auch die Halbzeitbilanz. Von diesem Halbzeit-Parteitag darf allerdings nicht allzuviel erwartet werden.

Im nächsten Jahr haben wir die Europawahl und die Bundestagswahl, im Jahr darauf die Bürgerschaftswahl. Das Frage nach dem neuen Profil ist vor allem die der Kandidatenaufstellung zu den Wahlen im Jahr 1995.

Wir werden vom nächsten Jahr an wieder kampagnenfähig sein und dann unsere Kandidaten aufstellen müssen.

Und dazu muß sich etwas ändern in der SPD?

Ganz klar. Ich habe gemerkt, daß die Leute sich nicht zufriedengestellt fühlen von den Antworten, die bisher auf die Frage, wie es mit Bremen und mit der Bremer SPD weitergehen soll, von den Vorständen kommen. Die Unterbezirke und Ortsvereine sollten sich jetzt nicht hindern lassen, die personellen und programmatische Erneuerung der SPD zu ihrer Aufgabe zu machen. Die SPD muß erst wieder eine Adresse werden. Der beste Ansatz dafür ist inhaltlicher und personeller Neuanfang.

Scheu vor der CDU

Ich bin der Meinung, wir müssen die Unsicherheit überwinden, die immer noch tief in unseren Knochen steckt, ob wir noch regieren wollen oder nicht eigentlich in die Opposition müßten. Wir müssen die Unfähigkeit überwinden, auch in der Koalition mit den Partnern zu konkurrieren, ohne dauernd das Bündnis in Frage zu stellen. Und wir müssen die Ungewißheit bekämpfen, ob wir Nummer eins bleiben können in diesem Land. Noch präziser: Eine Partei, ohne die es nicht geht. Gegen eine von vielen geheiligte Spielregel des Wechsels von Regierung und Opposition. Wir müssen die Scheu vor der CDU überwinden, der man fast auf Knien näherrückt. Sie hat nicht die Stärke, die ihr einige unterstellen!

Die SPD muß wieder eigene Identität und die Überzeugung gewinnen, daß sie dieses Land durch das schwere Wetter führen kann, das auch die nächste Legislaturperiode und länger andauern wird. Das ist eine kommunale und soziale Aufgabe, die eigentlich der Bremer SPD auf den Leib geschrieben sein müßte.

Was heißt: Scheu vor der CDU überwinden?

Wir können nur selbstbewußt und uns selbst vertrauend führende Regierungspartei bleiben, wenn wir für demokratische Parteien prinzipiell koalitionsfähig bleiben. In unserer Finanz- und Wirtschaftslage kommt es auch auf die CDU in Bremen und in Bonn an. Wir müssen sie gut behandeln, aber wir haben es nicht nötig, ihr hinterherzulaufen.

Wer tut das?

Es gibt Zweifel, ob dieses oder ein anderes Bündnis richtig wäre. Darüber kann man füglich streiten. Nur: Wir haben einen Vertrag unterschrieben, und wir haben zu testen, daß dieser Vertrag erfüllt wird. Wenn man mit anderen verhandeln wollte, dann müßte man das aus einer Position der Stärke tun. Diese Verfassung haben wir noch nicht wieder gewonnen.

Ist das Thema noch aktuell?

Zur Zeit nein.

Wie schätzen Sie die Arbeit der Ampel aus der Sicht des Finanzpolitikers ein?

Ich brauche im Moment in meiner Doppelverantwortung für Finanzen und Verwaltung nicht die Koalition in Frage zu stellen. Wir haben noch einige schwierige Hürden in diesem Jahr vor uns mit einem, so hoffe ich, ordentlichen Verhandlungsergebnis über die Sanierung und den Finanzausgleich vor dem Sommer, und mit einem überzeugenden Konzept für den Haushalt 1994 bis Weihnachten. Das hat in dem ersten Jahr gut angefangen, es hapert nur ein bißchen mit der Umsetzung...

Das hat Neumann kürzlich auch gesagt.

Na, das sollte einem schon eine Mahnung sein! Wozu haben wir schließlich eine Opposition.

Wir werden den Bremern Opfer abverlangen und uns auf Bund-Länder-Ebene durchsetzen müssen. Ich meine, daß sich die Koalition mit ihren finanzpolitischen Verabredungen auf einer sicheren Seite plaziert hat. Ich muß ein bißchen dafür sorgen, daß sie dort auch bleibt. Das kann unter den veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch eine Überprüfung - keine Neuverhandlung - des Koalitionsabkommens einschließen. Aber mit unserer Interessenvertretung in Bonn, bei der wir auch die Bremer CDU brauchen, auch viele andere Organisationen in Bremen, liegen wir günstig und würden unter einer anderen Konstellation keine Mark mehr bekommen.