Schwarz- und Schönfärberei

Im Handwerksmuseum liegen die Gerätschaften von Bäckern und Scharfrichtern nebeneinander  ■ Von Anna-Bianca Krause

Die Begriffswelt einer Epoche gibt Auskunft über politische, soziale, gesellschaftliche Zusammenhänge, der Volksmund wird zum plaudernden Zeitzeugen. Alltägliche Redensarten aus früheren Jahrhunderten sind heute jedoch meist nur noch mutierte Überbleibsel, deren Sinn sich erst bei näherer Betrachtung verflossener Lebensumstände und Gepflogenheiten erschließt: „Das Handwerk legen“ bedeutete im 16. Jahrhundert noch den völligen Ruin eines Meisters: aufgrund schwerer Vergehen gegen seine Zunft wurde seine Werkstatt geschlossen, sein Werkzeug eingezogen, ein weiteres Wirken für immer untersagt.

Der Gang durch die aktuelle Ausstellung des im Nikolaiviertel gelegenen Berliner Handwerksmuseums ist ein aufklärerischer Intensivlehrgang, der vielerlei rätselhafte Gerätschaften und sprachliche Kuriositäten parat hält. Mit Schwerpunkt Berlin im 18. Jahrhundert, und bereichert durch zahlreiche Exponate aus den Jahrhunderten davor, entfaltet sich in der Dependance des Märkischen Museums die Welt des Handwerks in all ihren Facetten. Utensilien und Hinterlassenschaften von Zinngießern und Uhrmachern, Tabakspinnern und Schiffern, Pantoffelmachern und Nagelschmieden, Korb- und Kammachern, Gürtlern, Gerbern und Fischern drängen sich in den äußerst beengten Ausstellungsräumen.

Zwischen Verbands-Wanderbüchern, verzierten Bügeleisen, Aderlaßgeräten und einer vollständigen Schusterwerkstatt wandern Wißbegierige von Zunft zu Zunft und haben nebenbei jede Menge zu lesen über Bräuche, Traditionen und den Alltag schlechthin. Daß Schneider Knotenbeißer und Fleischer Knochenhauer genannt wurden, daß ein Privileg eine von Landesherren oder Stadträten verliehene Urkunde war, die bestimmte Rechte – schwarz auf weiß – einräumte oder darüber, daß „Weiber“ bis zum 17. Jahrhundert gleichberechtigte, selbständige Zunftsmitglieder waren.

Die Ausstellungsstücke veranschaulichen auch, daß viele Berufe im Laufe der Zeit von künstlerischen, phantasiefordernden Arbeiten zu stumpfsinnigen Erwerbsquellen verkommen sind. Die Utensilien der Maler beispielsweise – Schablonen mit Rosen, Blättern und Figuren, Metallpinsel, mit denen verschiedenste Muster auf die Tapeten und Wände entworfen werden konnten – oder die bereits von Holzwürmern angenagten Holzköpfe der Perückenmacher zeugen ebenso davon wie die Hämmer und Stempel der Münzer, die bis zum 16. Jahrhundert jedes einzelne Stück am Amboß von Hand fertigten.

Jan Mende, der stellvertretende Leiter des seit 1986 existierenden Handwerksmuseums ist stolz, daß bis auf wenige Leihgaben alle Exponate Eigentum des Hauses sind. Doch die museale Freude ist getrübt, durch den Anlaß des enormen Materialzuwachses in jüngster Vergangenheit: „Kurz vor der Wende, als viele in den Westen gegangen sind, und in den beiden Jahren danach mußten sich viele Handwerksbetriebe auflösen. Die Leute waren froh, daß die Sachen wenigstens bewahrt wurden.“

Ein schauriges Highlight der mit 817 Ausstellungsstücken rund um 61 Berufe reichlich ausgestatteten Schau sind die Werkzeuge eines Scharfrichters: Fesseln, eine Eisenmaske, ein riesiges, furchteinflößendes Beil. Der Beruf, der das Enthaupten mit dem Schwert, das Rädern, Verbrennen, Vierteilen, Lebendigbegraben, Erhängen, Ertränken und die Handhabung verschiedenster Folterinstrumente ebenso erforderte wie die Fähigkeit, Tiere zu kastrieren, Pamphlete und Schmähschriften zu verbrennen, Abortgruben zu leeren sowie gefallenes Vieh zu beseitigen, gehörte – im Gegensatz zur landläufigen Meinung – zu den „unehrlichen Gewerken“. Die Tätigkeit war schlecht bezahlt und schloß den Scharfrichter aus der Gesellschaft aus: er mußte spezielle Kleidung tragen oder sich durch andere Abzeichen sofort als „Unehrlicher“ zu erkennen geben, damit andere ihn, aber vor allem die Berührung mit ihm, meiden konnten. Jede Gesellschaft hat ihre Werkzeuge.

„Berliner Handwerk von A bis Z“ im Handwerksmuseum, Mühlendamm 5 in Mitte. Dienstag bis Freitag 9–17, Samstag 9–18, Sonntag 10–17 Uhr