Dichter und sonst gar nichts

■ Edith Clever solo im Hebbel-Theater

Hölderlin ist wieder angesagt. Die Mischung aus Eremitenmythos und Dichtung tröstete Intellektuelle zuletzt vor zwanzig Jahren in großem Stil, seither gab es reichlich Hommagen an den Meister, vorwiegend in Film- und Gedichtform. Tenor: der verzweifelte Revolutionär.

Jetzt hat der Magister hundertfünfzigsten Todestag; in Deutschland sind die Gelehrten zufällig wieder ratlos und haben Besinnung nötig. Die Berliner Philharmonie ruft zur Geschichtsstunde. Klassikerretrospektive, Beitrag Nummer eins: Edith Clever solo im Hebbel-Theater. Das Porträt, das sie beisteuerte, ist ein work-in- progress-Abend und firmierte deshalb noch als Skizze. Hans Jürgen Syberberg, der seit acht Jahren mit Clever zusammenarbeitet, hat bei der Textauswahl geholfen: aus dem „Hyperion“ – „Beobachtungen in Friedrich Hölderlins Dichtung und Wahnsinn“ (Pressetext) und aus Wilhelm Waiblingers Aufsatz über seine Besuche bei Hölderlin im Tübinger Turm. Andere Zeitzeugen wollten Clever und Syberberg nicht dabeihaben. Es geht ihnen auch nicht um Hölderlin im ganzen, sondern nur um den Wahnsinnigen.

Syberbergs Credo: zurück zu den Göttern und zur Kunst. Hölderlin – ein Jakobiner oder Republikaner oder sonst irgend politisch, wie Pierre Bertaux und mit ihm die deutsche Linke so vehement behaupten? Alles Quatsch, die französische Revolution bleibt außen vor. Syberbergs und Clevers Recherchen bei Waiblinger (in dessen Aufsatz Hölderlins Biografie ziemlich durcheinandergeraten ist) und in Hölderlins Texten haben ergeben: Er war Dichter und sonst gar nichts. Hat er doch noch in geistiger Umnachtung Sommer, Winter und die Griechen gerühmt. Schuld an seinem Wahnsinn, so die Lehre des Abends im Hebbel-Theater, war die Liebe allein. „Womit er sich tagelang beschäftigen kann, das ist sein Hyperion“, berichtete einst Waiblinger, und daher rezitiert Edith Clever neben den kryptischen „Turmgedichten“ auch nur daraus. Und das in vier chronologisch geordneten Abschnitten, die sich gleichen: Zuerst Waiblinger- Passagen (Edith Clever am Stehpult, den Blick ernst und traurig ins Publikum gerichtet), dann Hölderlins Spätwerk im Wahnsinn (Edith Clever am Bühnenrand mit gesenktem Kopf) und schließlich für die Retrospektive Hyperion. Der Eremit in Griechenland – dazu tritt die Schauspielerin zurück in die Mitte, wo das Modell eines griechischen Theaters in Kleinformat steht. Hyperion an Bellarmin über die Liebe zu Diotima und zwischendurch auch mal über die Menschen im allgemeinen: Wunderschöne Texte, ja doch, und Edith Clever bringt sie vornehm- dezent bestens zur Geltung, aber bei der Vorstellung von allgemein anerkanntem Kulturgut für Schule und Hausgebrauch bleibt's dann auch.

Selbst Hyperions Schelte an die Deutschen scheint für die Clever- Syberbergsche Porträt-Skizze noch zuviel der Politik im privat mißverstandenen Text; Clever bricht sie nach dem ersten Halbsatz ab, statt dessen tönt klassische Streichmusik, leise und im Playback: Kitsch für Fortgeschrittene. Von den „Barbaren von alters her“ kann, wer will, heimlich aus dem Programmheft im Faksimile lesen. Clever/Syberberg lieben offenbar keinerlei Drastik auf der Bühne (sie könnte ja der Illusion von der reinen, aufopfernden Kunst schaden).

Fürs erste war es also nichts mit Erbauung für ratlose Gemüter, es bleibt bei der Schlechtigkeit der Welt und Diotima stirbt. Anlaß zu Hoffnung ist dennoch: Das Ergebnis weiterer Hölderlin-Studien (unter anderem ein Hölderlin- Raum von Paul Pfarr) gibt es bis zum 18. März in der Philharmonie, musikalische Bearbeitungen vor allem, dazu eine Retrospektive der einschlägigen Filme im Arsenal. Einer davon, „Hommage à Hölderlin“, stammt von Herwig Kipping, und der gibt sich, wie auch aus „Das Land hinter dem Regenbogen“ bekannt, apokalyptisch und liebt keinen Gefühlsdusel. Friederike Freier

Nächste Veranstaltung der Reihe: Kammerkonzert in der Philharmonie am Sonntag, 28.2., 16 Uhr: Hölderlin-Vertonungen von Luigi Nono, Bruno Maderna, Györgi Kurtág und Heinz Holliger. Informationen unter Tel. 2614383 und 25488-132 (ab 15.30 Uhr)