Man spielt Schwarzer Peter

■ Wer soll künftig das Defizit beim Pressevertrieb der Post decken?/ Ein Symposium

Berlin (taz) – „Bei der Einführung des Privatfernsehens wußte man doch auch, wohin das freie Spiel der Kräfte führt – auch wenn die Befürworter immer behaupteten, daß Konkurrenz die Qualität steigert“, ereiferte sich der Bündnis-90-Abgeodnete Wolfgang Ullmann. Und Axel Zerdick, Publizistikprofessor in Berlin, brachte den Hintergrund der Misere bei der Pressepost auf den punkt: „Diejenigen, die die Privatisierung der Post wollten, weigern sich heute, die Zeche zu zahlen.“ Die Zeche: Das sind die fehlenden 800 bis 900 Millionen bei der Pressepost (bisher „Postzeitungsdienst“ genannt), für die ausgerechnet kleine und konfessionelle Zeitungen überproportional zur Kasse gebeten werden sollen.

Einige von ihnen hatten sich zusammengeschlossen, um am Mittwoch im Berliner Reichstag ein Symposium zu veranstalten und etwas vehementer, als dies die großen Verlegerverbände tun, das für sie existenzbedrohende Preisdiktat der Post zu diskutieren. Eine außergewöhnliche Koalition: Da war die katholische Deutsche Tagespost („älter als Thurn und Taxis“), das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, fünf bayerische Regionalzeitungen („der Briefträger bringt sie auf die Alm“) und die taz. Und das Bündnis hielt – obwohl die großen Verlegerverbände, nach einem ganzen Jahr zögerlicher Verhandlungen geschickt terminiert, eine Woche vor dem Symposium gerade noch „ihren“ Verhandlungserfolg gemeldet hatten: eine „Härtefallregelung“ der Post für 1993, nach der z.B. die taz „nur“ 16% mehr zahlen muß als im Vorjahr – statt ursprünglich oktroyierter 40 Prozent.

So weit, so gut – sagte sich die Koalition der Kleinen. Aber erstens liegt die Preiserhöhung für die schwergewichtigen und anzeigenträchtigen Zeitungen zwischen null und fünf Prozent, und zweitens: Wie geht es 1994 weiter? Erklärtes Ziel der Post ist es, in den nächsten drei Jahren noch einmal über 50 Prozent draufzuschlagen. Bis 1996 darf die „Pressepost“ sich nämlich noch aus den überschüssen der Telecom bedienen, danach sind die Kosten gedeckt, oder es kommt die Sintflut, sagt die Post.

Vor letzterer warnten dann unisono die geladenen Post-Politiker von CDU/CSU und FDP, Bernd Protzner und Jürgen Timm: Dann werde die Post wohl ihren Service auf dem Land einschränken müssen. Daß dies nun sogar gegen die Verfassung verstoßen würde, hatte allerdings schon der Verfassungsrechtler Prof.Friedrich Kübler in seinem Vortrag klargestellt: Artikel 5 GG, der die Pressefreiheit garantiert, wehrt nicht nur staatliche Eingriffe ab, sondern garantiert auch den Schutz vor „Reichweitenverlusten“ durch staatliche Maßnahmen: zum Beispiel da, „wo die Verteuerung des Pressevertriebs einkommensschwachen Gruppen den Bezug von Zeitschriften und Zeitungen in solchem Maße erschwert, daß es in erheblichem Maße zu Abbestellungen kommt“. Sein Resümee: Die Garantie des Artikels 5 GG geht vor Kostendeckung der Post.

Doch an wen geht dann der Schwarze Peter? Der Chef der „Pressepost“, Friedrich Müller, schob ihn dem Innenminister zu: Für ihn ist die Post Transporteur und Dienstleister, aber nicht zuständig für Medienpolitik. Ministerialrat Gerhold, für eben diese im Bundesinnenministerium zuständig, konnte aber nur mit den Achseln zucken: Ein Posten für Presseförderung sei weder 93 noch 94 drin, das habe Herr Waigel schon signalisiert. Er gab den Schwarzen Peter zurück: „Der Bundesinnenminister meint, daß die Regelung weiter innerhalb der Post gefunden werden sollte.“

Das konnte nun wieder Ministerialrat Hempel vom Post-Ministerium nicht auf seinem Minister Bötsch sitzenlassen: „Laut Gesetz muß die Post Gewinne machen.“ Es sei doch „eher hilfreich, wenn das künftig der Finanzminister aus Steuermitteln des Telecom-Bereichs bezahlt“.

Den Betroffenen half das alles nicht viel. Auch nicht, daß die Vertreter der Opposition prinzipiell eine Subventionierung „derer, die es wirklich brauchen“ (Manfred Becker von der Medienkommission der SPD), für sinnvoll hielten. Viel Hoffnung konnten sie angesichts allgemeiner Subventionsmüdigkeit ohnehin nicht verbreiten. Blieb noch die Lösung, daß die Großen für die Kleinen zahlen, sprich die vielen dicken, weil anzeigengefüllten Zeitungen für die physisch, aber eben nicht inhaltlich leichtgewichtigen. „Auch die Großen müssen doch ein Interesse an der Pressevielfalt haben“, plädierte der CSUler Protzner an die Adresse der großen Verbände von Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern gewandt, die müßten eben „einen Konsens finden“. Doch die Angesprochenen waren leider als einzige nicht erschienen.

Erfreulich immerhin, daß alle anderen Beteiligten versprachen, es bei den nächsten Verhandlungen besser zu machen. Friedrich Müller von der Pressepost („Man darf ja auch mal seine Meinung korrigieren“) genauso wie die Ministerialen, bei denen der unkooperative Verhandlungsablauf 1992 „überall zu Nachdenklichkeit“ geführt hat. Die Veranstalter des Symposiums hofften, daß man auch über die Forderung des Verbandes der Lokalpresse nachdenken wird, bei künftigen Verhandlungen vom Status Quo Ante auszugehen, also die Kleinen das nächste Mal weniger (statt mehr) zu belasten als die Großen. Fürs nächste Jahr, so war einer Bemerkung des Vertreters der Partei zu entnehmen, die Post- wie Finanzminister stellt, wird wohl erstmal Ruhe an der Gebührenfront herrschen: 1994 ist schließlich Megawahljahr. Michael Rediske