Dünne Luft in Kroatien

Von Journalisten in Kroatien wird Loyalität gefordert: Kritik an der Regierung gilt als unpatriotisch  ■ Von Ken Kasril

Kroatiens Präsident Franjo Tudjman gelangte auf den Schultern einer Nation zur Macht, die buchstäblich in Uniform zur Welt gekommen war – und das sagt einiges über den Status der Meinungsfreiheit in der jungen Republik.

Tudjman, ein ehemaliger General, focht an der Wahlfront aus einer Position der Stärke heraus. Er hatte „den 900 Jahre alten Traum von der Unabhängigkeit Kroatiens“ realisiert, die diplomatische Anerkennung des Westens gewonnen und die serbische Aggression zum Stehen gebracht. Das Wahlvolk war beeindruckt und verhalf ihm und seiner regierenden Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) bei den Wahlen im August 1992, die von ausländischen Beobachtern als fair eingeschätzt wurde, zu einer klaren Mehrheit.

Inzwischen hat Tudjman jedoch entdeckt, daß die Serben, die immer noch fast ein Drittel des Landes besetzt halten, weniger leicht zu erledigen sind als die unabhängige Presse Kroatiens. Die Euphorie der Unabhängigkeit und die Gefahr eines Wiederauflebens der Kämpfe haben zu einem heftigen Nationalismus geführt, der zum Maßstab für jegliche interne Kritik geworden ist. Kroatische Journalisten, die diesen strengen neuen Maßstäben nicht genügen, werden als subversiv oder ethnisch zweifelhaft von der staatlichen Presse denunziert, andere durch Drohungen gleich auf Linie gezwungen oder zum Schweigen gebracht, wenn sie sich nicht fügen. Kritiker meinen, die Regierung habe gezeigt, daß es in der sehr jungen kroatischen Demokratie immer noch sehr leicht sei, die Presse zu zähmen, indem man ökonomischen Druck ausübt — Gesetze sind dabei kein Hindernis.

Der Loyalitäts-Lackmustest

Die Reaktionen der offiziellen Presse auf Kritik aus den Reihen der eigenen Bürger nimmt das Profil einer neuen kroatischen Orthodoxie an. Statt mit rationalen Argumenten begegnet man ungeliebten Schreibern mit persönlichen Attacken, Lügen und Verschwörungstheorien. Die staatliche Tageszeitung Vecernji List beispielsweise denunzierte in einem höchst phantasievoll zusammengeschriebenen Artikel die kroatische Journalistin Jasmina Kuzmanovic als ausländische Spionin. Ihr Name stand neben zwei anderen unter einer Aufmacherstory in der Time über serbische Lager für „ethnische Säuberungen“. Die Zeitschrift hatte ihren Namen auch unter eine Kurzmeldung in der gleichen Ausgabe gesetzt, in der es hieß, daß auch Kroaten und Moslems Säuberungen veranstaltet hätten, wenn auch in geringerem Ausmaß. Jasmina Kuzmanovic' „Autorenschaft“ war, so Vecernji List am 4.September, der Beweis dafür, daß „man hier die Dimension der Verschwörung in den ausländischen Medien gegen Kroatien gar nicht kennt und nicht weiß, wie weit die Finger der serbischen Lobby reichen“. Ein Diplomat aus Zagreb sagte, kroatische Journalisten seien einem Loyalitäts-Lackmustest ausgeliefert, der die neuen Feinde, die „Jugo-Nostalgiker“, kenntlich mache. Und wer mit diesem Ausdruck belegt wird, erklärt die Schriftstellerin und Journalistin Dubravka Ugresic, ist „das Letzte vom Letzten“. „Es bedeutet, daß man sich nach dem alten Jugoslawien zurücksehnt, was nur heißen kann, daß man die Kommunisten unterstützt und deshalb also gegen den Krieg ist. Das heißt dann, daß man für die Nationalarmee Jugoslawiens ist und damit für die Serben.“

Dubravka Ugresic, Bürgerin des neuen Staates Kroatien, weigert sich, ihre ethnische Zugehörigkeit zu erklären. Als sie am 23.Oktober letzten Jahres in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit von einem Geist sprach, der die „saubere kroatische Luft“ von ausländischen Verschmutzungen säubere, bis „die Luft täglich sauberer und dünner wird“, war sie heftigen persönlichen Angriffen ausgesetzt.

Als Antwort erschien 17 Tage später in der Wochenzeitung der HDZ, Glasnik, ein Artikel unter dem Titel „Denunziation der Heimat“. Er beginnt mit der Frage: „Welcher Nation gehört eigentlich Dubravka Ugresic an?“ und fährt fort, sie in Grund und Boden zu verdammen, weil sie nicht über „die serbische Aggression in Kroatien, über die Hunderte von toten Kroaten, über Flüchtlinge, niedergebrannte Dörfer und Städte“ geschrieben habe.

„Kollegen und Nachbarn grüßen mich nicht mehr“, sagt Dubravka Ugresic, die als „Jugo- Nostalgikerin“ abgestempelt ist. Als nächste traf es die kroatische Autorin Slavenka Drakulic, die in einem Kommentar in der International Herald Tribune erklärt hatte, daß unter Tudjman „Patriotismus absolute Treue zur herrschenden Partei bedeutet“. „Ich bin Patriotin, keine Nationalistin“, sagt Drakulic. „Und das können sie nicht ertragen.“

KritikerInnen behaupten, daß solche Angriffe die Frustration der Regierung über die ausländische Presse reflektiere, die, im Gegensatz zu den heimischen Medien, nicht unter Kuratel gehalten werden kann. Zwei der drei überregionalen Tageszeitungen Kroatiens sind in staatlichem Besitz. Direktor der kroatischen Radio- und Fernsehstation ist Antun Vrodoljak, der gleichzeitig Stellvertretender Vorsitzender der Regierungspartei HDZ war und nach dem Wahlgang im Sommer als Abgeordneter ins neue Parlament einzog. (Der Sender mit seinen drei Programmen wird nominell von einem Mehrparteienrat geführt; Mitglied dieses Rates ist Bozo Kovacevic, Abgeordneter der Opposition im kroatischen Parlament; ihm zufolge ist bisher jeder Antrag auf Tagung des Rates abgelehnt worden.)

Die haben bestimmt die Richter bestochen

Der frühere Informationsminister Milovan Sibl ist jetzt Direktor sowohl der Partei(wochen)zeitung Glasnik als auch der staatlichen Nachrichtenagentur HINA. Gleichzeitig gehört er auch dem von der Regierung ernannten Gremium zur Privatisierung der Agentur und zur Kontrolle der staatlichen Zeitungen, Druckereien und Vertriebsstellen an; letztere sind nahezu vollständig in den Händen des Staates.

Milovan Sibl räumt ein, daß seine Posten eine beträchtliche Machtkonzentration darstellen, aber, so sagt er, diese Macht werde nicht mißbraucht. „Wir wissen, was Totalitarismus ist und was es heißt, nur eine Stimme zu hören“, erklärt er. „Jeder kann hier schreiben, was er will, nur nicht auf Kosten des Staates. Dafür muß er dann sein eigenes Geld einsetzen.“

Diese Regel wird jedoch, wie die staatliche, aber kritische Wochenzeitung Danas erfahren mußte, nur manchmal angewandt. Ihr Ruf nach redaktioneller Unabhängigkeit stammt aus der Zeit, als noch der Kommunismus herrschte und Danas für ein Mehrparteiensystem und freie Marktwirtschaft eintrat. Auch nach dem Machtwechsel und der Unabhängigkeit änderte sie ihre Linie nicht. Sie berichtete unerschrocken über ethnische Säuberungen von kroatischer Seite und kritisierte die Regierung Tudjman für die Verzögerungen der Privatisierung. Daß sie plötzlich am 8. Juni, weniger als zwei Monate vor den Wahlen, eingestellt wurde, geschah aus „rein finanziellen Gründen“, sagt Sibl. Die sich anhäufenden Schulden der Zeitung schreckten Käufer ab, weshalb man beschloß, ihre Aktivitäten zu „suspendieren“.

Nun war zwar Danas tatsächlich tief in den roten Zahlen, aber die staatliche Tageszeitung Vjesnik, deren Auflage etwa vergleichbar groß ist, wies noch wesentlich schlechtere Bilanzen auf. Während sich Danas Schulden auf 600.000 Mark beliefen, saß Vjesnik immerhin mit einem Defizit von 2 Millionen Mark da. Drei Monate nach der Schließung von Danas bekam Vjesnik eine Finanzspritze von 150.000 Mark.

Milovan Sibl gibt zu, daß diese Investition „ökonomisch keinen Sinn macht“, und betont den ideologischen Unterschied zwischen den Zeitungen: Danas sei „an Jugoslawien orientiert und gegen den kroatischen Staat“ gewesen. Die Mehrzahl der Redaktionsmitglieder seien „Kinder von Offizieren der jugoslawischen Armee, aus gemischten Ehen und von KP-Mitgliedern“ gewesen. Im Gegensatz dazu, so Sibl, „ist der Premierminister der Meinung, daß Vjesnik die Auffassung der Regierung getreuer unters Volk bringe“.

Diese Haltung erklärt vielleicht auch den Umgang mit Novi Danas, einer privat gestarteten Zeitung, die 18 Redaktionsmitglieder von Danas übernahm. Kurz bevor die erste Ausgabe Ende Juni 92 erscheinen konnte, so ihr Eigentümer Emil Tedeschi, wurden der Zeitung sowohl ihr Büro in einem Gebäude der staatlichen Handelsgesellschaft gekündigt als auch Telefonanschluß und elektronische Versorgung ohne weitere Begründung gekappt. Nachdem zwei Ausgaben dennoch erschienen waren, klagte die Regierung gegen Novi Danas; ihr Titel sei ein Bruch des Copyrights. Das Handelsgericht von Zagreb gab der Klage am 3.Juni statt. Nachdem Emil Tedeschi Revision eingelegt hatte, revidierte es sein Urteil jedoch zwei Wochen später wieder. Dieses zweite Urteil (vom 17. Juli) wies die Klage mit der Begründung zurück, daß Danas schließlich aufgehört habe zu existieren. Die staatliche Vertriebsgesellschaft – die der Tageszeitung Slobodna Dalmacija zufolge 79 Prozent der Kioske besitzt – brach daraufhin ihren Vertrag mit Novi Danas, und die staatliche „Kroatische Druckerei“ weigerte sich, die Zeitung zu drucken.

Die offiziellen Erklärungen dafür variieren, je nachdem, wen man fragt. Einig ist man sich darin, das Urteil des Gerichts nicht anzuerkennen. Der Direktor der Vertriebsgesellschaft, Ivan Njers, behauptet im Widerspruch zum Urteil, daß „das Gericht den Verkauf von Novi Danas verboten hat“. Sibl behauptet, daß Novi Danas die Druckereischulden ihrer Vorgängerin erst bezahlen müsse. Gefragt, ob nicht bestätigt sei, daß die beiden Zeitungen zwei juristisch voneinander unabhängige Einheiten seien, antwortet er: „Ja, für den Richter“, und fügt hinzu, er sei „zutiefst davon überzeugt“, Novi Danas habe den Richter bestochen.

Wir sind Geschäftsleute

Emil Tedeschi publizierte sechs weitere Ausgaben, zahlte für den Druck in Slowenien und Österreich etwa 60 Prozent mehr und improvisierte den Vertrieb. Dann bezeichnete die Parteizeitung Glasnik den publizistischen Neuling in einem wütenden Angriff als „jugo-nostalgisch“, woraufhin die Kunden von Emil Tedeschis Hauptgeschäft (der Import von Papier für Bücher und Kataloge) drohten, ihre Aufträge zu stornieren, falls er das Projekt Novi Danas nicht fallenlasse.

„Wir sind keine Kämpfer für eine unabhängige Presse, wir sind Geschäftsleute“, sagte Tedeschi. „Wir wollten eine Zeitung, die Profite macht und sich gut in unsere Produktpalette einfügt... Aber wenn es keine Zeichen einer Kooperation in Druck und Vertrieb gibt und gleichzeitig Propaganda gegen uns gemacht wird, sind die Geschäftsaussichten schlecht.“ Am 3. September 1992 stellte er die Zeitung ein.

Das Ende dieses Versuchs, sagt der oppositionelle Abgeordnete Kovacevic, ist nur „das berühmteste Beispiel“ einer Manipulation der Medien durch die Regierung und damit eine Warnung an alle Journalisten, die heutzutage allesamt um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen. Es hinterläßt dem kritischen Teil der kroatischen Öffentlichkeit außerdem eine Presselandschaft, in der sich als einzige überregionale Zeitung nur die Slobodna Dalmacija“ noch traut, eine unabhängige Meinung zu äußern. Aber auch hier stehen die Dinge auf des Messers Schneide.

Riskant, sein Recht auszuüben

Im April 1992 übernahm ein von der Regierung nominiertes Management die Tageszeitung, angeblich, um die Privatisierung vorzubereiten. Das neue Management schrieb einen Brief an die Redaktion, in dem sie diese vor jeglicher Kritik an seinen Entscheidungen warnte. Am 19. Oktober jedoch konnten die neuen Manager ihren Brief auf Seite 1 ihrer Zeitung lesen: die Redaktion hatte beschlossen, sich nicht so leicht einschüchtern zu lassen. Die Internationale Helsinki-Gruppe und die ausländische Presse äußerten herbe Kritik, und das Management zog sich zunächst zurück. Der Redaktion gelang es jedoch nicht, das Management aus der Zeitung herauszuklagen; wie die kroatischen Zeitungen am 2. Dezember berichteten, wies das Gericht die Klage ab. Die Direktorin der Helsinki- Watch-Gruppe, Lieselotte Leicht, erklärte, die Zukunft der Zeitung sei damit „völlig offen“.

Milovan Sibl beharrt darauf, daß der Drohbrief des Managements an die Redaktion die Tat von „einzelnen Privatpersonen“ war und „nichts mit staatlicher Politik zu tun hat“. Als Beweis zitiert er einen offenen Brief des Premierministers von Anfang November, der das Management auffordert, sich aus redaktionellen Angelegenheiten herauszuhalten. Sibl meint außerdem, der Premier habe nur deshalb zu diesem ungewöhnlichen Mittel gegriffen, „weil die ausländische Presse der Sache so viel Aufmerksamkeit schenkt“.

Beweist die Tatsache, daß die Redaktion diesen Brief des Managements auf der ersten Seite ihrer Zeitung veröffentlicht hat, nicht doch auch die Existenz einer Pressefreiheit? Srdjan Dvornik, Lektor im Naprijeb-Verlag und Mitglied der Zagreber Bürgerinitiative für freie Meinungsäußerung, sagt dazu: „Man kann nicht von Rechten sprechen, wenn ihre Ausübung derartig riskant ist.“ Und der eingangs zitierte Diplomat aus Zagreb fügte hinzu: „Die Presse kann nicht ,ein bißchen frei‘ sein, ebenso wie eine Frau nicht ein bißchen schwanger sein kann. In der Regierung gibt es zu viele, die keinen Schimmer von der Rolle einer freien Presse haben. Sie sind in einem repressiven Regime geboren und aufgewachsen. Man kann nicht erwarten, daß die sich über Nacht bekehren lassen.“

Ken Kasril ist freier Journalist in Budapest.