Am Anfang war Abs

■ Vor 40 Jahren erließen die Siegermächte den Deutschen die Hälfte der Schulden: Ein Modell für Entwicklungsländer

Berlin (taz) – Den Deutschen geht es gut. Trotz Waigelscher Rotstiftpolitik lag das Bruttosozialprodukt 1991 bei etwa 39.000 Mark je Einwohner; leisten jedenfalls können sich die Deutschen noch immer vieles – zum Beispiel das Reisen. Alljährlich formieren sich wahre Karawanen auf dem Weg in andere Länder und Kontinente. Insgesamt unternahmen die Deutschen im letzten Jahr 51 Millionen Reisen. Die sogenannte Dritte Welt ist heute als Reiseziel begehrter denn je. Das Prickelnd- Exotische ist es wohl, das Deutsche auch in die armen Regionen der Erde zieht. An gemütlichen Grillabenden zeigt man dann die Videos, Dias oder Farbfotos bettelnder Kinder, Großaufnahmen hungriger Augen, hingestreckter dürrer Arme.

In den rund 140 von den OECD-Staaten als Entwicklungsland eingestuften Ländern leben drei Viertel der Menschheit, aber nur ein Fünftel der Wirtschaftsleistung wird hier produziert. Auch den Deutschen ist eine schwierige wirtschaftliche Situation nicht unbekannt. Nur 40 Jahre sind vergangen, seit das Londoner Schuldenabkommen Deutschland von über der Hälfte seiner Schuldenlast befreite.

Bankier Hermann-Josef Abs war es, der damals die Verhandlungen mit den westlichen Siegermächten führte und erreichte, daß dem besiegten Land 51,1 Prozent seiner Vor- und Nachkriegsschulden erlassen wurden – eine Lösung, die das wirtschaftliche Schicksal zumindest im westlichen Teil Deutschlands zum Guten wendete: Bereits wurde am Rhein wieder für den Export produziert, jedoch weniger als 5 Prozent der Erlöse aus dem Außenhandel waren den Gläubigern zurückzuzahlen.

Wirtschaftswissenschaftler meinen, daß das Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953 als Modell einer politischen Lösung von Verschuldungsproblemen der Entwicklungsländer dienen kann. Damals nahm die Bundesrepublik dank dieser Einigung bereits nach wenigen Jahren Sondertilgungen vor, so daß Auslandsschulden kein Hindernis mehr für die deutsche Wirtschaft darstellten. Germanwatch, eine 1991 von Wissenschaftlern gegründete Initiative, versteht sich als Lobby für die Peripherieländer. Die Mitarbeiterin Johanna Vinnemann schreibt: „Was für Deutschland damals recht war, sollte für die Entwicklungsländer heute nur billig sein.“

Doch von einer solchen Regelung können die heutigen Schuldnerländer nur träumen. Zwischen 20 und 30 Prozent an Zinsen und Tilgungen nehmen Bundesregierung und deutsche Banken jährlich ein – ein erheblicher Teil mehr, als die Entwicklungshilfe der Bundesregierung ausmacht. In den letzten zehn Jahren zahlte die sogenannte Dritte Welt insgesamt über 1,5 Milliarden US-Dollar; Entwicklungshilfe, Direktinvestitionen und Bankkredite beliefen sich auf nur 1,1 Milliarden US-Dollar.

Germanwatch-Mitarbeiter Walter Eberlei stellt fest: „Deutsche Banken schreiben über 80, zum Teil bis zu 100 Prozent der Schulden des Südens steuermindernd ab. Die armen Länder haben nichts von diesem Vorteil, der den Banken bares Geld bringt und die Steuerzahler bares Geld kostet. Wir fordern, daß diese abgeschriebenen Beträge auch den Schuldnerländern erlassen werden.“ Außerdem sollten die Schulden der Entwicklungsländer mit mittlerem Einkommen, beispielsweise Brasiliens, um mindestens 50 Prozent gestrichen werden, die der ärmsten Länder um 100 Prozent. Bisher allerdings wollen weder die Banken noch das Finanzministerium etwas davon hören. Das Finanzministerium verstehe sich als Exekutive und sei daher nicht willens, auf die Forderungen einzugehen.

Nicht genug damit. Die Hamburger Hermes Kreditversicherungs-AG soll im Auftrag der Bundesregierung – und mit deutschen Steuergeldern – Exporte in die Staaten der Dritten Welt organisieren. Was der Öffentlichkeit als Hilfe verkauft wird, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als schmutziges Geschäft: Rüstungsexporte und ökologisch sowie entwicklungspolitisch umstrittene Projekte gehören zu den Aktivitäten der Hermes-AG (die taz berichtete). Thomas Fues, Mitarbeiter der Bonner Informationsstelle WEED, fand heraus, daß Hermes den Export von deutschen Maschinen und Ausrüstungen in die sogenannte Dritte Welt aus Gesichtspunkten der Umweltverträglichkeit ablehnt; die Ausfuhrgewährleistung sei ein Versicherungsinstrument zur Förderung des deutschen Exports, nicht der Entwicklungshilfe. Zwar verfüge das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Hermes- Kontrollausschuß über ein Vetorecht, nutze dieses aber nicht aus. Auch das Umweltministerium ist bisher nicht im Kontrollgremium vertreten, obwohl dessen Anwesenheit im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit deutscher Ausfuhren dringend notwendig wäre. Marita Vollborn