1993 - Arbeit ade

■ Die Republik hat ein neues Resignationsförderungsprogramm: den sofortigen Stopp aller zukünftigen ABM-Stellen. Experten prognostizieren als Folge des Beschlusses der Bundesanstalt für Arbeit einen Arbeitslosenzuwachs...

1993 – Arbeit ade

„Wir erreichen den für 1993 geplanten Jahresdurchschnitt von 300.000 Beschäftigten in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Osten und 60.000 im Westen.“ Roland Schütz, Pressereferent der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), versucht, die Gemüter zu beruhigen, die die jüngste Nachricht der Behörde ausgelöst hatte. Danach werden keine neuen ABM mehr bewilligt, es werden keine laufenden ABM verlängert und wenn der Inhaber einer ABM auf eine feste Stelle wechselt, wird die ABM-Stelle nicht wieder neu besetzt. Schütz begründet den drastischen Schritt der BA mit dem in Erwartung zukünftiger Mittelkürzungen erfolgten Run von Antragstellern auf die Arbeitsämter in den letzten Monaten des alten Jahres und der Fülle von vorab bewilligten Maßnahmen für das laufende Jahr durch die Ämter. „Die Mittel für 1993 sind jetzt ausgeschöpft“.

Werner Marquis, Sprecher des Landesarbeitsamtes (LAA) in Düsseldorf, widerspricht der Darstellung aus dem Hause der Bundesanstalt vehement. In seiner Behörde sei nichts von einer Flut von Neubewilligungen in den letzten Wochen zu spüren gewesen. Die bereits von der Nürnberger Behörde an das LAA ausgezahlte erste Tranche für 1993 in Höhe von 56 Millionen Mark sei bei weitem noch nicht ausgeschöpft gewesen, mit dem Nürnberger Erlaß liege aber das restliche Geld auf Eis.

Ende Januar dieses Jahres waren in den neuen Bundesländern noch 325.000 Menschen in AB- Maßnahmen beschäftigt, im Westen waren es noch 63.400. Schon seit Monaten war die Gesamtzahl der ABM in Ost und West rückläufig. Im Osten sank sie binnen Monatsfrist um knapp 30.000, im Westen um über 4.000. Noch drastischer macht sich der Rückgang in Jahresfrist aus. Gegenüber Januar 1992 ging die Zahl der Beschäftigten in AB-Maßnahmen in den neuen Bundesländern um 69.000 und in der alten Bundesrepublik um 15.900 zurück.

Nach der Verfügung an die Arbeitsämter, keine neuen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mehr zu bewilligen, stehen die Chancen für die Betroffenen der anstehenden Massenentlassungen schlecht. Monatlich wurden bislang im Osten zwischen 20.000 und 35.000 Menschen neu in ABM vermittelt, im Westen der Republik pendelte sich die Zahl im Jahr 1992 zwischen 9.600 und 5.300 ein. Ab sofort wird es solche Neueintritte über die bislang bereits schon bewilligten Stellen hinaus nicht mehr geben. Dazu kommen noch die im Laufe des Jahres auslaufenden ABM, also das Gros der bislang bestehenden insgesamt knapp 400.000 Stellen in Ost und West. – „Ein daraus resultierender Anstieg der Arbeitslosigkeit ist nicht auszuschließen“, drückt sich Roland Schütz betont vorsichtig aus. Analytisch sei es schwer, den konkreten Anstieg der Arbeitslosenzahlen auf das Auslaufen von ABM zurückzuführen.

Anfang Februar wies aber BA- Präsident Bernhard Jagoda bei der Präsentation der aktuellen Arbeitsmarktstatistik bereits auf den Zusammenhang zwischen dem Zurückfahren von AB-Maßnahmen und der Zunahme der Arbeitslosigkeit in einzelnen Branchen hin. Im Laufe des Jahres 1992 waren 126.300 weniger Vermittlungen in ABM registriert worden als ein Jahr zuvor. Dies hatte Auswirkungen auf jene Berufe, wo ABM ein besonders großes Gewicht haben. Das sind vor allem die Land- und Forstwirtschaft, die Sozial- und Erziehungsberufe aber auch die Bauberufe.

Als Trostpflaster hält die Bundesanstalt den Paragraphen 249h des Arbeitsförderungsgesetzes parat. Danach können Empfänger von Arbeitslosengeld und -hilfe durch die Gewährung von Lohnkostenzuschüssen in eine neue Beschäftigung gebracht werden, wenn diese im Bereich der Umweltsanierung, der sozialen Dienste oder der Jugendhilfe erfolgt. Für 1993 stehen dafür 600 Millionen Mark bereit, für das Jahr darauf 1,3 Milliarden. Insgesamt könten 52.000 Menschen in den Genuß dieses arbeitsmarktpolitischen Instrumentes kommen. Aber erst frühestens im April oder im Mai kann diese Maßnahme anlaufen – wenn überhaupt, so BA-Pressereferent Schütz.

Schon Jagodas Vorgänger, Heinrich Franke, hatte angesichts der von der Bundesregierung beschlossenen Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und damit einhergehenden Kürzungen des Haushalts der Bundesanstalt für weitere sieben Milliarden Mark plädiert. Hoffnungen auf einen solchen Nachtragshaushalt macht sich in der Bundesanstalt allerdings niemand. „Allenfalls eine Erhöhung des Bundeszuschusses“ hält Schütz für denkbar. Vielleicht kommen aber auch die Ratschläge des BA-eigenen „Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“ (IAB) zum Tragen. In einem Diskussionspapier schreiben die Forscher zur entscheidenden Frage der Finanzierung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums der Bundesanstalt: „Obwohl der Beschäftigungseinbruch im Osten natürlich alles andere als ein ,Versicherungsfall‘ der BA ist, lassen sich die Beiträge zur BA im übrigen anscheinend auch leichter erhöhen als allgemeine Steuern, u.a. da sie eher als unabweisbar erscheinen, wenn die Finanzierung der Arbeitslosigkeit nicht mehr gesichert ist.“ Bernd Siegler/Walter Jakobs