"Bewegung ja, Olympia nein"

■ Gesichter der Großstadt: Die Ostberliner Judith Demba (35) sitzt als sportpolitische Sprecherin der Grünen in der Berliner Anti-Olympia-Koordination

Berlin. Mitten im Wahlkampf für die Volkskammerwahlen im März 1990 meinte ihr Sohn aus heiterem Himmel: „Man sollte zuerst das Geld wählen und dann erst die anderen“. Judith Demba, Mitbegründerin der Ost-Grünen und damals verantwortlich für den Wahlkampf, kann heute darüber lachen: „Da sprach Volkes Stimme aus ihm.“ Mittlerweile ist Dembas Sohn sechzehn und Anhänger der autonomen Punkszene.

„Es gibt Leute, die wollen große Politik machen.“ Judith Demba gehört, trotz des Wirbels, den das umstrittene Anti-Olympia-Video in den vergangenen Wochen entfachte, nicht zu ihnen. „Mir geht es vor allem um Inhalte und die Abarbeitung von Themen“, sagt sie, überzeugt auch davon, daß organisierte Politik bei den Grünen und die Arbeit in Initiativen einander nicht ausschließen. Judith Dembas Thema war, neben ihrer Arbeit als Gewerkschafterin, bereits zu DDR-Zeiten der Umweltschutz. Als Facharbeiterin beim Köpenicker Werk für Fernsehelektronik gründete sie Mitte der achtziger Jahre einen Arbeitskreis Betriebsökologie. Das war frech. Zwar gab es im Kulturbund des Stadtbezirks bereits eine Gruppe Stadtökologie, aber die Ausdehnung solcherlei Querulanz auf die volkseigenen Betriebe war ein Tabu, selbst wenn es „nur“ um Themen ging wie Abfall, Smog oder Altbatterien. „Fortan“, grient Judith Demba unter dem dunklen Pony hervor, „galten wir im Betrieb als illegale Gruppe“.

Doch eskalieren sollte der Konflikt erst im Herbst 89. Die Gruppe hatte, anläßlich der Festivitäten zum DDR-Jubiläum, eine Wandzeitung mit dem Thema „40 Jahre DDR – 40 Jahre Umweltschutz“ fertiggestellt und mit dem Leiter des Wohnbezirksausschusses in der Edisonstraße vereinbart, die Zeitung ins dortige Schaufenster zu hängen. Als Demba sich mit einer Freundin am Tage des Gorbatschow-Besuchs dorthin begab, war die Wandzeitung verschwunden. Zwei Männer in zivil waren gerade dabei, das Objekt ihrer Begierde, in Wolldecken gehüllt, in ihren Wagen zu verbringen. Grund für die Aufregung: Die Edisonstraße im Industriestadtteil Oberschöneweide gehörte zur Protokollstrecke der Gorbi-Visite.

Judith Dembas Elternhaus war zehn Jahre zuvor ein Spiegelbild der damaligen Verhältnisse: keine Westkontakte, kein Westfernsehen. Als sie mit achtzehn heiratete, konnte sie nicht ahnen, daß sich die beengten Verhältnisse auch in ihrer Ehe fortsetzen sollten. Bekam Judith Demba Besuch von FreundInnen und Gleichgesinnten, verließ ihr Mann regelmäßig die Wohnung. Drei Jahre nach der Heirat reichte sie die Scheidung ein. Ihr Mann hatte sich für 25 Jahre beim berüchtigten Wachregiment „Feliks Dscherschinski“ verpflichtet. „Ein Leben unter ständiger Kontrolle“, sagt sie, „hätte ich nicht ausgehalten.“ Zwei Jahre später verließ sie auch die Partei, „nicht, weil ich gegen den Sozialismus war, sondern es beschissen fand, wie die Leute belogen wurden.“

Wie vielen Oppositionellen auch, ging es ihr im Herbst 1989 um eine „eigenständige, bessere DDR“. Doch die Utopien und Entwürfe kamen ihrer Ansicht nach bereits damals zu kurz: „Alle wußten zwar, wogegen sie waren und gingen deshalb auch auf die Straße, doch schon bei den Forderungen war die Einigkeit vorbei.“ Diesen Mangel sieht sie auch heute bei der Vereinigung zwischen Bündnis 90 und Grünen: „Es wird viel über Strukturen geredet, kein Wunder, wenn da die Inhalte zu kurz kommen.“

Politikerin wollte Judith Demba eigentlich nicht werden. Über den Arbeitskreis Stadtökologie bekam sie jedoch schnell Kontakt zu den Grünen, und so kam es, daß sie beim Gründungsparteitag der Grünen im September 1989 mit von der Partie war. „Es war eine Zeit des Aufbruchs“, erinnert sie sich, „aber auch der beginnenden Differenzen. Viele Mitglieder von ,Demokratie jetzt‘ wollten bereits damals die Marktwirtschaft.“

Daß sie sich für Parteipolitik entschieden hat und nicht für eine Bewegung, scheint in ihrer Natur zu liegen. Gewohnt zu streiten, hatte sie bereits in der Schule die Lehrer so lange in Diskussionen verwickelt, bis der Unterricht zu Ende war. Leidenschaftlich und temperamentvoll wie sie ist, sucht Judith Demba immer wieder die Reibung. Das eckt an und macht sie angreifbar für jene, die sich darin eingerichtet haben, den Weg des geringsten Widerstands als das „Machbare“ zu verteidigen. Warum sie sportpolitische Sprecherin ihrer Partei wurde? „Weil es keiner machen wollte“, meint sie, „und ich mal gesagt habe, einer muß ja Olympia verhindern.“ Sie lacht. Immer wieder. „Eigentlich habe ich zum Sport ja ein kritisches Verhältnis. Bewegung ja, aber Leistungssport oder Vermarktung?“

Judith Demba geht schwimmen, spielt mit ihrer zwölfjährigen Tochter Federball und hat es plötzlich sehr eilig. Demo-Vorbereitung. „Anfang April“, gibt sie schnell noch zu Protokoll, gibt es eine Großdemo, dann noch eine Anti-Olympia-Zeitung, ein Konzert...“

Von Verbissenheit ist bei Judith Demba nichts zu spüren, um so mehr dafür von sportlichem Ehrgeiz. Es scheint, als hätte sie tatsächlich ihr persönliches Gleichgewicht zwischen Bewegung und Politik gefunden. Uwe Rada