Viermal null ist null ist null

■ Revierderby Schalke 04 gegen Borussia Dortmund: Zoff vorm Spiel, nix aufm Feld

Gelsenkirchen (taz) – Bundesliga 1993: Das Mißverhältnis zwischen Input und Output wird immer krasser. Das zwischen Erwartung, Euphorie, Hysterie vorher und der tatsächlich dargebrachten Spannung und Unterhaltung. Welch ein Nachmittag sollte es werden, was für ein Match um die Vorherrschaft im Kohlenpott, um die Krone im Revier – und was an anderem Mumpitz mehr aufgelistet worden war. Das Derby der verhaßten Nachbarn Schalke und Dortmund war in jeder Hinsicht eine Nullnummer. Bloß nicht verlieren; so gesehen hatten beide Erfolg.

S04, jenes mysterienverklärte Kürzel des 1904 gegründeten Gelsenkirchener Vorortclubs, findet immerhin neue Bedeutung. S steht jetzt für den neuen Trainer Schulte und 04 für die Resultate seines bisherigen Schaffens. Viermal die Null. Erst Nullnull vergangene Woche gegen Wattenscheid, jetzt das gleiche Knallergebnis gegen den BVB. Und dennoch erklärte Schulte, er werde „frohen Mutes nach Hause gehen“, sein „Herz hat gejubelt“ und das Getrete habe bei ihm „ganz besondere Gefühle ausgelöst“. Zumindest konnte er sich bei seiner Heimspielpremiere darauf berufen, daß die Seinen das zu Beginn etwas agilere Team waren.

70.200 Menschen waren zum gemeinsamen Frieren bei windigen null Grad Celsius ins Parkstadion gelockt worden. Tausende Bullen und vereinzelt Kühe waren einen ganzen Tag lang beschäftigt, sturzbetrunkene und pöbelnde Massen voneinander getrennt zu halten. Die Innenstadt, Straßenbahnen und vor allem der Bahnhof glichen Kriegsaufmärschen derer in Blau- Weiß und Schwarz-Gelb, von grünen Menschenmauern am Totschlag gehindert. Aggressivität pur, und im Stadion wehte ein Transparent: „Stoppt Tierversuche – Nehmt BVB-Fans“.

Um Zahlen mit vielen Nullen geht es bei Günter Eichberg, dem Schalker Vereinsboß. Er will und muß bis zum Sommer einige Millionen aus seiner Privatschatulle in den Verein pumpen, damit die 18 Millionen Schulden, die sich in den vier Jahren seiner Präsidentschaft aufgehäufelt haben, so weit reduziert werden, daß der DFB nicht die Lizenz verweigert. Da die Einkommensverhältnisse des Besitzers diverser bestens florierender Krampfaderkliniken immer eng mit der steuerlichen Höchstbelastung von 53 Prozent verbunden sind, schmerzt ihn nur rund jede zweite Mark. Daß er es aber überhaupt schafft, sechsnullige Ausgaben für einen Fußballverein als Werbungskosten für sein Venenimperium zu verbuchen, setzt ein inniges Verhältnis zu seinem Finanzamt voraus. Mögliches Argument: Krank ist krank – der sieche Skandalclub muß mit D-Mark- Spritzen wieder mal frisch durchblutet werden. Aber Krampfadern kommen immer wieder, und notfalls sind gegenwärtig Verluste ein besonderes Glück für den Oberschalker: Die Ex-Lebensgefährtin, so heißt es, fordert derzeit rund zwanzig Millionen Beziehungsabfindung.

Sachliche Erklärungen liebt Eichberg nicht. Wenn mal wieder aktuelle Finanzlöcher diagnostiziert werden, empfiehlt der Kliniker „eine globalere Sichtweise“. Zuschauerschnitt von über 40.000 und steigende Dauerverschuldung– dieses Mißverhältnis hat laut Eichberg „eine besondere Faszination“, mit dem besonderen Reiz, daß man nicht wisse, wie das komme. Acht Millionen sind im nächsten Quartal zu tilgen – wie, das ist, so Eichberg, „meiner Geschicklichkeit zu überlassen“.

Wie geschickt bei Schalke die Millionen auftauchen und versickern, versuchen seit Generationen neunmalkluge Kaffeesatzleser, opponierende Intriganten und zahllose Journalisten aufzuhellen, aber nicht einmal den Spürhunden vom Spiegel ist es je gelungen. Merkwürdigerweise hält das clubinterne Schweigekartell auch, wenn mal wieder, und das kommt in Schalke häufig vor, irgendwer gefeuert und rausgeekelt wird (Lattek, Kremers, Bruchhagen).

Was man indes kennt, sind die innigen personellen Verflechtungen zwischen Sport und Finanzwelt: Der derzeitige Schalke-Vize ist Chef der Hausbank, Schatzmeister ist praktischerweise einer der Hauptsponsoren und im Verwaltungsrat des Clubs kratzt sich ein besonderer Promi das Bärtchen: Jürgen W. Möllemann. Und der, als Verwaltungsrat eigentlich zuständig für Aufsicht und Überprüfung im Verein, sinniert über Eichbergs Geldquellen lapidar, das könne er sich auch nicht recht erklären: „Man läßt ihm eben Raum.“ Unwissenheit und mangelnde Kontrolle von Mitarbeitern war schon Möllemanns große Stärke als Wirtschaftsminister.

Bestätigt hat Eichberg jetzt die Summe, die er aus seinem Portemonnaie dem Investitionsobjekt Mihajlović vor drei Jahren hat zukommen lassen: Eine Million US- Dollar Handgeld als Starthilfe für seinen Wechsel von Bayern München. 100.000 Mark verdient der Bosnier seitdem monatlich, die Leistung am Samstag entsprach weitgehend den letzten fünf Ziffern. Überboten an Harmlosigkeit wurde er nur vom zweiten Millionenmann mit dem gleichen Einkommen, Bent Christensen. Und Dortmunds Coach Ottmar Hitzfeld, der sich eigentlich hätte schämen müssen für die fahrige Darbietung seines um den mäßigen Sammer (8,5 Mio.) verstärkten Starensembles, konnte unwidersprochen das Wort zum Sonntag verkünden: „Beide wollten oder konnten nicht gewinnen. In der zweiten Halbzeit war es ein Freundschaftsspiel.“ Bernd Müllender