■ Scheibengericht
: Hauchzarte Töne

Mario Bertoncini (RZ 1002), Helmut Lachenmann (RZ 1003), Mathias Spahlinger (RZ 1005), Jani Christou (RZ 1006) (Edition RZ, Leibnizstr. 33, 1000 Berlin 12)

Was? Zehn Jahre nach der Markteinführung der CD, nach der sofort einsetzenden, beispiellosen Verdrängungsschlacht gegen die LP gibt es noch ein Label, das auf diesem Low-Tech-Niveau operiert? Und das auch noch aus Überzeugung – und ästhetischem Kalkül?

Nun, bei näherer Betrachtung verliert das Unternehmen an Aberwitz, denn unter den High- Endern ist der Grabenkrieg zwischen Vinyl und Aluminium- Lochschablone (vulgo: CD) längst noch nicht entschieden. Die vielbeschworene Sinnlichkeit, die zur Cover-Art geführt hat, ist bei der CD, was Handling und Anmutung angeht, zur Un-Art verkümmert; des weiteren ist mit der Mikrotechnik einfach kein Staat zu machen: Aussehen und Leistungsmerkmale der Digitalgeräte sind einander zu ähnlich und vor allem zu billig, um ein Statusgefälle herstellen zu können. Da läßt sich bei der Analogtechnologie doch ein ganz anderes Materialaufgebot zur Schau stellen.

Den schlagendsten Grund aber liefern die Produktionen selbst. Als ginge es darum, dem Medium die Meßlatte so hoch wie möglich zu legen, hat die Editon RZ Komponisten ausgewählt, deren Werke akustisch hochproblematisch sind. Sie operieren aus Berechnung an den Grenzen der Audibilität; dort, wo sich das Ohr am eigentlich nicht mehr Hörbaren abarbeiten muß. Wofür es zumeist reich belohnt wird.

Am offenkundigsten in Helmut Lachenmanns „Gran Torso“, einem Streichquartett, das auf „normal“ gespielte Töne verzichtet, zugunsten hauchzarter Geräusche. Mit den Subtilitäten wird in einer Weise ernst gemacht, daß jeder noch so minimale Laut (Laut? ganz das Gegenteil!), jedes Schnaufen, jedes unbedachte Fußscharren der Interpreten zum Bestandteil des Stückes würde. Für ein Medium, das ob seiner Knisterkulisse oft schon mit der Schellackplatte in einem Zuge genannt worden ist, ist solche Musik ein Testfall höherer Ordnung – der bei guten Pressungen ohne weiteres bestanden wird.

Auch das Streichquartett „Apo Do“ von Mathias Spahlinger – einem Komponisten, von dem, gemessen an seiner Bedeutung, viel zu wenig (nämlich fast nichts) veröffentlicht ist – verlangt eine enorme dynamische Spannbreite. Deren einer Pol, die Stille, ist die Grundierung, von der sich die verschiedenen Klangfarben abheben. Die Interpretation des Leonardo- Quartetts verblüfft mit einer merkwürdigen Umkehrung: Während die Geräusche Volumen haben, Kontur aufweisen und von spannender Vielgestaltigkeit sind – also als Wohlklang aufgefaßt sind –, wirken die wenigen „echten“, also gestrichenen Töne aufdringlich und geradezu enervierend banal. Der Versuch, den Geräuschen einen Körper zu verleihen, wird durch die räumliche Präsenz der Aufnahme nicht unwesentlich gefördert. Ein Sonderlob an den Tonmeister.

Mit der Bearbeitung von Earle Browns „Four Systems“ und seiner eigenen „Cifre“ (beide sind graphisch notiert) gibt Mario Bertoncini einen Einblick in die Wunderwelt des präparierten Klaviers. Die eingesetzten Präparationen gehen über die von Cage verwendeten weit hinaus. Gerade die Tricks, die angewendet wurden, um langandauernde Klänge den Innereien des Geflügels zu entlocken, bereichern die Palette um einige äolische, sirenenhafte Farben.

Jani Christou, 1969 bei einem Unfall gestorben und nahezu unbekannt geblieben, bindet in seinen Werken Instrumentalspiel, Text und Schauspiel zu dem zurück, was sie in der Antike einmal gewesen sind, mousiké, die Einheit von Dichtung, Musik und Tanz. Das weiß natürlich nur, wer die Stücke von Aufführungen her kennt und gesehen hat, wie der Akt des Spielens zur Moritat, wenn nicht gar zur Tragödie geraten kann. Das Drama teilt sich aber auch den Hörenden mit, da das rituelle Geschehen, die Gestik, die Stegreifkatastrophen in den Partituren verankert sind.

Die Platten der Edition RZ liefern hervorragende Beispiele für Programme, die nicht aus marktpolitischem Kalkül, sondern aus kunstinhärenten Maßstäben hervorgehen. Bei den handverlesenen und dutzendfach geprüften Produktionen trägt, was dem so oft so schlampig gemachten Massenausstoß der CD-Welt zunehmend abzugehen scheint: Qualität.