■ Auf einem von der taz mitveranstalteten Symposium hielt Prof. Friedrich Kübler letzten Donnerstag den Vortrag über „Postzeitungsdienst und Verfassung“: Zeitungen sind kein Reklamematerial
These 1: Der Postzeitungsdienst ist eine historisch gewachsene Einrichtung. Mit dem Übergang vom Obrigkeitsstaat zum demokratischen Gemeinwesen ist aus dem Instrument der Kontrolle der Presse das ihrer Förderung geworden. In den meisten westlichen Industrieländern haben sich vergleichbare Einrichtungen entwickelt.
Prägendes Merkmal des Postzeitungsdienstes ist, daß nicht alle Druckschriften, sondern allein die der „meinungsbildenden Presse“ zu Sondertarifen, d.h. begünstigt, vertrieben werden. Er wird zugleich charakterisiert durch die institutionalisierte Zusammenarbeit von Post und Presse. Sie hat sich in der Vergangenheit bewährt: den gemeinsamen Bemühungen ist es wiederholt gelungen, die Bedürfnisse der Post (Stichwort: „Abbau der Kostenunterdeckung“) mit denen des Pressevertriebs auf einen Nenner zu bringen.
Diese Form des Postzeitungsdienstes wird von der Post eliminiert. Das Axiom der „kostendeckenden Tarife“ bedeutet, daß künftig nicht mehr zwischen meinungsbildender Presse und sonstigen Drucksachen unterschieden werden soll: Tageszeitungen, konfessionelle und wissenschaftliche Zeitschriften werden behandelt wie Reklamematerial. Die neue Preisliste, die die Bundespost im vergangenen Jahr für 1993 vorgelegt hat, ist mit den Vertretern der Presse nicht abgesprochen, sondern den Verlagen oktroyiert worden; sie haben nicht ohne Grund von einem „Preisdiktat“ gesprochen. Marktstarke Blätter, wie der Spiegel oder die ADAC-Motorwelt werden auch künftig zu den bisherigen Entgelten befördert. Dafür wurden die Preise für die nach Umfang und Auflage kleineren Objekte – etwa die taz oder die Deutsche Tagespost – kräftig, d.h. bis zu 50 Prozent, erhöht. Damit wird ein weiteres Element des Postzeitungsdienstes preisgegeben: daß nämlich die Starken die Last der Schwächeren mittragen.
These 2: Der Postzeitungsdienst wird häufig als „staatliche Subventionierung“ der Presse bezeichnet. Dieser Begriff verweist auf eine Möglichkeit: die meinungsneutrale Förderung des Pressevertriebes aus Steuermitteln wäre verfassungsrechtlich zulässig. Von einer derartigen Subvention kann aber nicht die Rede sein. Der Postzeitungsdienst ist ein komplexes Geflecht von Querfinanzierungen zwischen unterschiedlichen Diensten und Kunden der Post. Die Deutsche Bundespost Postdienst hat mehrfach eingeräumt, daß der Postzeitungsdienst seine Wegfall- oder Grenzkosten* voll erbringt. Das heißt: Niemand – weder die Post noch ihre sonstigen Kunden – wäre bessergestellt, wenn die Presse ihren Vertrieb – als Alternativen Zustelldienst – kollektiv in eigener Regie organisieren würde. Vor allem aber zeigt dies, daß der Postzeitungsdienst in geringerem Maße Querfinanzierung durch andere Dienste, sondern vor allem Querfinanzierung innerhalb der Presse bedeutet.
Denn nach den in der Vergangenheit gültigen Tarifen sind umfangreiche Blätter mit hoher Auflage, wie etwa der Spiegel oder der Stern, im Vergleich zu schmalen Periodika mit kleinerer Auflage wie etwa die taz einer relativ hohen Belastung ausgesetzt worden. Das hatte den verfassungspolitisch erwünschten Effekt, daß die wegen ihrer hohen Anzeigenerlöse wirtschaftlich besonders erfolgreichen Verlagsobjekte die insoweit weniger begünstigten mitgetragen und subventioniert haben. Es ist besonders bedenklich, daß auch dieses bewährte Element beseitigt werden soll.
These 3: In den Gutachten, die im Auftrag der DBP Postdienst angefertigt und bislang nur teilweise (d.h.: selektiv) veröffentlicht worden sind, wird die These vertreten, die Bezieher von Zeitungen und Zeitschriften seien generell bereit, höhere Preise zu bezahlen; deshalb könnten die Verlage höhere Vertriebskosten auf ihre Leser abwälzen. Zumindest in dieser Verallgemeinerung ist das nicht richtig: Aus den Untersuchungen ergibt sich, daß die „Preiserhöhungsakzeptanz“ durchaus begrenzt und vor allem sehr ungleichmäßig verteilt ist: vor allem bildungs- und einkommensschwache Gruppen und die Jugend und die Alten sind nicht bereit oder in der Lage, wesentlich höhere Preise zu zahlen.
Den angegebenen Zahlen ist nicht nur zu entnehmen, daß es zu Abbestellungen kommen wird, sondern daß sie sich in sehr ungleicher Weise auswirken werden. Betroffen sind nicht die Börsenzeitung und ihr vergleichbare Blätter, sondern konfessionelle Zeitungen und Zeitschriften, Fachzeitschriften für strukturgefährdete Bereiche (etwa die Landwirtschaft) und kleinere Tageszeitungen außerhalb ihres engeren Vertriebsgebietes. Daraus resultieren Reichweiten-, Substanz- und Bestandsverluste: vor allem im sozialen und kulturellen Randbereich werden die Leute auf Zeitungen und Zeitschriften verzichten; das schwächt nicht nur das Vertriebs-, sondern auch das Anzeigengeschäft der Presse; am Ende verschwinden Blätter und Verlage vom Markt.
Das alles beeinträchtigt die Pressevielfalt. Sie ist nicht nur dort betroffen, wo Unternehmen schließen und Zeitungen oder Zeitschriften sterben. Die Pressevielfalt leidet auch dann, wenn es nicht mehr möglich ist, in Freiburg die taz, in Flensburg die Frankfurter Rundschau, in Rosenheim die Welt oder in Berlin die Deutsche Tagespost (aus Würzburg, d.Red.) zu lesen.
These 4: Dieser Vorgang, die Beeinträchtigung der Pressevielfalt, ist verfassungsrechtlich relevant, weil Art. 5 Abs. I,2 GG, das Grundrecht der Pressefreiheit, nicht nur staatliche Eingriffe abwehrt, sondern zugleich den – für ein demokratisches Gemeinwesen unverzichtbaren – Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung durch das gedruckte Wort schützt. Diese Gewährleistung ist funktionsbezogen: sie bezweckt, Randbedingungen zu schaffen und zu erhalten, die die Presse braucht, um ihre „öffentliche Aufgabe“ (ein vom Bundesverfassungsgericht und in den Landespressegesetzen gebrauchter Begriff) zu erfüllen.
Dieser objektivrechtliche Gehalt der Pressefreiheit erschöpft sich nicht darin, Publikationsorgane (Zeitschriften und Zeitungen) und Presseverlage vor Bestands- und Substanzverlusten – d.h. vor finanziellen Einbußen, vor der erzwungenen Einstellung von Blättern und vor der Insolvenz ganzer Unternehmen – zu schützen. Es geht auch um Reichweitenverluste: die verfassungsrechtliche Gewährleistung wird auch dann tangiert, wenn staatliche Maßnahmen zur Folge haben, daß auf den Bezug von Zeitschriften und Zeitungen verzichtet wird. Das gilt vor allem dort, wo die Verteuerung des Pressevertriebs einkommensschwachen Gruppen den Bezug von Zeitschriften und Zeitungen in solchem Maße erschwert, daß es in erheblichem Umfang zu Abbestellungen kommt.
In diesem Punkt behauptet sich Art.5 Abs.I,2 auch gegen das legitime Ziel der Kostensenkung und Kostendeckung. Im demokratischen Gemeinwesen und im Kulturstaat sind Wissensvermittlung und Meinungsbildung nicht allein am Maßstab der ökonomischen Effizienz zu messen. Es handelt sich um einen wichtigen Teil der politischen und kulturellen Infrastruktur, deren Erhaltung und Erneuerung nicht allein dem Markt überlassen werden darf.
These 5: Die DBP Postdienst bleibt auch dort, wo sie nicht mehr als Verwaltungsbehörde, sondern als Unternehmen auftritt und in den Rechtsformen des Privatrechts handelt, an den ihr durch Art. 87 GG erteilten Auftrag gebunden: sie hat die Beförderung schriftlich oder bildlich aufgezeichneter Mitteilungen zu wirtschaftlich und kulturell sinnvollen Tarifen zu gewährleisten. Auch wo sie zum Rechtsformwandel befugt ist, ist es ihr nicht gestattet, sich durch „Aufgabenprivatisierung“ ihrer Infrastrukturverpflichtungen zu entziehen, zu denen auch die kostengünstige Versorgung mit meinungsbildenden Zeitungen und Zeitschriften gehört.
Soweit der Verfassungsauftrag reicht, der sich sowohl aus Art.5 Abs.I,2 wie aus Art.87 Abs.I ergibt, kann die Post auch nicht durch einfaches Bundesrecht, etwa das Poststrukturgesetz, von ihrer Verpflichtung entbunden werden.
Deshalb ist davon auszugehen, daß der Postzeitungsdienst in seiner herkömmlichen Prägung zu den „Pflichtleistungen“ der DBP Postdienst gem. Paragraph 4 Postverfassungsgesetz zählt.
These 6: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt auch für die Pressefreiheit, daß sie nicht allein durch materielle Vorkehrungen, sondern durch die Ausgestaltung der maßgeblichen Verfahren zu schützen ist. Angesichts der komplexen Finanzierungsbeziehungen, die die Realität und den Sinn des Postzeitungsdienst bestimmt haben, ist die Abstimmung und Verständigung zwischen Post und Presse unerläßlich. Die Vertreter der Presse repräsentieren die unterschiedlichen Segmente der politischen, konfessionellen, wissenschaftlichen, technischen und kulturellen (Fach-)Kommunikation; die Post gewährleistet die inhaltliche Neutralität der Zulassungspraxis und der Tarifstruktur, und sie trägt die Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit ihres Betriebes.
Die Post bleibt zur Kooperation mit den dafür qualifizierten Vertretern der Presse verpflichtet. Die einseitige Festlegung der Entgelte zu Lasten auflagen- und anzeigenschwacher Blätter verletzt nicht nur die materialen Gewährleistungen des Grundgesetzes, sondern auch die der DBP durch die Verfassung auferlegten Verpflichtungen zur Zusammenarbeit mit der Presse für die Fortführung und Ausgestaltung des Postzeitungsdienstes.
Mit anderen Worten: Dem Grundgesetz läßt sich nicht entnehmen, wieviel genau die Post für die Beförderung von Zeitschriften und Zeitungen verlangen darf. Aber Art.5 Abs.I,2 und 87 Abs.I GG verpflichten die Post zur Beibehaltung eines kooperativen Verfahrens zur Festsetzung der Entgelte des Postzeitungsvertriebs. Und: Diese Entgelte müssen die Presse weiterhin in der Weise begünstigen, daß sie auch kleineren Blättern den bundesweiten Vertrieb zu annehmbaren Bedingungen ermöglichen.
Am 17. Februar war der Tagespresse zu entnehmen, daß sich die DBP Postdienst und der BDZV über die Gebührenerhöhungen für das laufende Jahr geeinigt haben. Wenn ich richtig informiert bin, dann sieht die Neuregelung so aus, daß Zeitungen, die mehr als 20 Prozent und Zeitschriften, die mehr als 80 Prozent ihrer Auflage über den Postzeitungsdienst vertreiben, die zusätzlichen Gebühren erstattet bekommen, soweit sie die bisherige Tarifbelastung um mehr als 16 Prozent übersteigen. Für Verlagsobjekte, die in geringerem Maße auf den Postzeitungsdienst angewiesen sind, soll eine abgestufte Regelung gelten: sie erhalten die Mehrbelastung nicht voll, sondern – je nach der Höhe ihrer „Postauflage“ – zu einem Prozentsatz zwischen 75 und 25 Prozent erstattet.
Es wäre gewiß verfrüht, dieses Ergebnis abschließend zu bewerten. Es wird abzuwarten sein, wie sich die Neuregelung auf die Kostenstruktur gerade der Blätter auswirkt, die über einen geringen finanziellen Spielraum verfügen und zudem in besonderem Maße von der Beförderung durch die Post abhängig sind: Preiserhöhungen von 16 Prozent sind auch dann kein Pappenstiel, wenn zunächst einmal die Erleichterung vorherrscht, daß es nicht bei 40 der 50 Prozent bleibt. Ich weiß auch nicht, inwieweit dieses Ergebnis für künftige Jahre, d.h. über 1994 hinaus gelten soll.
Die Neuregelung ist aber dann zu begrüßen, wenn sie bedeutet, daß die DBP Postdienst sich von der Methode des einseitigen Preisdiktats verabschiedet hat und an den Tisch der einvernehmlichen Lösungsbemühungen zurückgekehrt ist, die das Verhältnis von Post und Presse über zwei Jahrzehnte bestimmt und eine Reihe von wichtigen Strukturanpassungen ermöglicht hat.
Wenn dieses richtig ist – und ich hoffe: es ist richtig –, dann sehe ich den Sinn der heutigen Veranstaltung vor allem darin, die Basis für die wiederbelebte Zusammenarbeit der Post mit der Presse zu verbreitern und zu vertiefen. Pressevielfalt und Pressefreiheit sind nicht nur ein kostbares, sondern auch ein empfindliches Gut: sie sind auf institutionelle Sicherungen angewiesen, die einer ausschließlich an betriebswirtschaftlicher Effizienzsteigerung orientierten Betrachtungsweise exzessiv erscheinen mögen. Es ist der Sinn der Kooperation von Post und Presse, das ökonomisch Gebotene mit dem kulturell Erwünschten, aber auch das verfassungspolitisch Unverzichtbare mit dem wirtschaftlich Machbaren auf einen Nenner zu bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen