Nebensachen aus Istanbul
: Erinnerungen an Deutschland

■ Über Ordnung, Pflicht und Hörigkeit, über gehorsame deutsche Hunde und wilde türkische Katzen

Die Parkuhr nahm keine Münzen an. Ich zuckte mit den Achseln und ging in Richtung des Metzgers, wo ich kurz einkaufen wollte. Es lief mir eiskalt den Rücken herunter, als ich eine rauhe Stimme vernahm. Ein stämmiger Mann schrie mich an. An die genauen Worte kann ich mich nicht erinnern. Doch es war die Rede von „Parkuhr“, „Deutschland“ und „Ordnung“. Ich, der gesündigt hatte, war entlarvt. Pflichtbewußt hatte der Mann, ein einfacher, deutscher Bürger, die polizeilichen Interessen wahrgenommen. Erinnerungen an Deutschland, nachdem ein Jahrzehnt vergangen ist.

Es handelt sich bei den Deutschen um ein höriges Volk. Die Deutschen sind Meister der Gehorsamkeit. Willig fügen sie sich allen Anordnungen und Bestimmungen, die von oben kommen. In Deutschland gibt es wie in anderen Ländern auch Schilder mit der Aufschrift „Rasen betreten verboten“. Doch Deutschland ist ein Land, wo die Menschen sich tatsächlich den Verbotsschildern unterordnen.

Meine Mutter hat mir mehrfach die Geschichte erzählt, wie sie mich als Kind in den katholischen Kindergarten in Überlingen am Bodensee einschreiben wollte. Doch der Kindergarten wollte kein Muslimkind. Meine Mutter schlug Krach bei allen möglichen Behörden und Institutionen. Zu guter Letzt erging an den Kindergarten die Anweisung, daß er mich aufzunehmen hätte. Prompt waren die Verantwortlichen auch dazu bereit. Ich habe den Kindergarten dann nie besucht.

Doch die Geschichte lehrte mich: die Deutschen sind ein einfaches Volk. Wenn sie ihre Bestimmungen und Verfügungen von oben haben, sind sie glücklich. Heute nein, morgen ja – Hauptsache, es gibt Ordnung, Hauptsache, es gibt einen Paragraphen, an den sie sich klammern können. Da habe ich mich später auch nicht gewundert, als ich in Zeitungen las, wie geschmeidig sich die schlimmsten SED-Bürokraten in ihre neuen politischen Karrieren einleben.

Doch die Deutschen sind so eigenartig, daß ihr Wille zum Gehorsam, ihre Hörigkeit und Selbstgefälligkeit selbst auf die Tierwelt in Deutschland abgefärbt hat. Die armen Hunde kommen an allererster Stelle. Sie sind nichts weiter als willige Gefolgstiere ihres Herrn. Das nennt sich in Deutschland „Treue“. Die Deutschen sind stolz auf ihre treuen Hunde. Pünktlich erhalten sie dafür von ihrem Besitzer regelmäßig Futter.

Es fehlen mir die Worte, die Erleichterung zu beschreiben, nachdem ich Deutschland den Rücken kehrte und mich in Istanbul niederließ. Die Türken sind zwar Opportunisten, die nicht den offenen Aufstand gegen die staatliche Ordnung riskieren. Doch sie verschwenden viel Zeit darauf, sich Tricks auszudenken, wie man die staatlichen Bestimmungen und Verfügungen umgehen kann.

Und in Istanbul bestimmen Katzen und nicht Hunde das Straßenbild. Istanbul ist ein Paradies für Straßenkatzen. In meinem Stadtteil sind vor den Metzgerläden und bei den Fischern stets Dutzende von Katzen versammelt. Jede zweite Familie hier füttert Straßenkatzen. Doch keinem Türken würde es einfallen, Treue und Gehorsam von den stolzen Katzen einzuklagen. Manchmal verlassen uns unsere Lieblingstiere wochenlang, um ihren sexuellen Trieben auf der Straße nachzugehen. Das Bild meiner frechen Lieblingskatze Bicir auf der Mülltonne ist das genaue Gegenstück meines Deutschland- Bildes: eine Katze, die keinen Herrn und keine Ordnung kennt – untreu, wild, ungehorsam. Ömer Erzeren