Kohl: „Hauptkontinent Asien“

Wie der Bundeskanzler in Tokio predigte, ohne den Japanern näherzukommen/ Mehr Hilfe für Rußland gefordert/ Zwei deutsch-japanische Foren sind das Ergebnis der Reise  ■ Aus Tokio Georg Blume

Nicht etwa, daß sich der deutsche Bundeskanzler angemaßt hätte, in Tokio über asiatische Geschichte zu dozieren. Doch ohne historische Visionen ging es auch diesmal nicht: „Wenn ich die Welt sehe, die sich vor uns auftut“, sagte Helmut Kohl nach zehn Tagen Jet- set von Indien bis Japan, „dann kann ich ohne jede Prophetie vorraussagen, daß Asien der Hauptkontinent des 21. Jahrhunderts ist.“

Die schönen Worte nutzten nicht viel. Denn wer hörte noch hin? Die Japaner bestimmt nicht. Plötzlich hatte der Kanzler sogar eine Existenzfrage darin entdeckt, „daß wir als Deutsche uns nicht nur auf Deutschland oder auf Europa beziehen“. Doch genau das wird inzwischen in Tokio vorausgesetzt. Helmut Kohl wäre wohl noch vor Jahresfrist von den Japanern als Held der deutschen Einheit gefeiert worden. Sein Staatsbesuch hätte das volle Empfangsvermögen der den Deutschen traditionell wohlgesonnenen Nation motiviert. Jetzt war davon nichts mehr zu spüren: Im Februar 1993 war der Kanzlerbesuch den Abendnachrichten im japanischen Fernsehen nur noch eine Drittmeldung wert. Helmut Kohls hartnäckige Mahnungen, Japan müsse auch im eigenen Interesse mehr zur Unterstützung Rußlands beitragen, stießen nicht nur auf die erwartete Skepsis der Regierung, sondern lösten auch in der Öffentlichkeit nicht mehr als Achselzucken aus. Nicht mit einem Satz, nicht mit einer Geste konnte der Kanzler seine japanischen Gastgeber betören – dabei lassen sie sich sonst so gerne in den Bannkreis von ausländischen Staatsmännern ziehen.

Da, wo Kohl überzeugte, sprach er von sich selbst und den Problemen der Deutschen. Als es dann um Ratschläge für den Vollzug der koreanischen Einheit ging, konnte der Kanzler eine Schublade nach der anderen aufziehen – alle Aktenordner seiner christlichen Staatsmoral. Nur daß die Südkoreaner in ihrer Mehrheit Buddhisten sind, vergaß er zu erwähnen. Vielleicht war solche Vorsicht aber auch gar nicht angebracht: Südkorea, wo Kohl heute als letzte Station seiner Asienreise eintrifft, hat eine Vorliebe für Prediger, ganz anders als die Japaner.

War das ein Grund für die Kälte, die Kohl in Japan ausstrahlte? Natürlich mußte er beim Erhalt der Ehrendoktorwürde in der Tokioter Sophia-Universität brüderliche Worte sprechen. Doch außer Beethoven und Mozart und den deutschen Japanforschern vergangener Jahrhunderte, Engelbert Kämpfer und Philipp Franz von Siebold, fielen ihm keine Namen ein, die dem deutsch-japanischen Verhältnis heute noch Kraft verleihen könnten. Während des gesamten Besuchs hielt sich der Kanzler von den Japanern fern. Er besuchte den Sonntagsgottesdienst, was japanische Gastgeber in aller Regel als unnötig empfinden. Streng privat besichtigte Kohl die Tempelstadt Kamakura, so daß im japanischen Fernsehen der zweite Besuchstag des Kanzlers nicht einmal mehr erwähnt wurde.

Deutlich wurde: So wie es dem japanischen Premierminister Kiichi Miyazawa bislang mißlingt, eine Affinität mit Deutschland zu definieren, versagte an diesem Wochenende auch Kohl auf der Suche nach den deutsch-japanischen Gemeinsamkeiten. Vielleicht gibt es sie auch gar nicht, und dann es wäre für beide Staatschefs sowieso besser, alle strittigen Fragen im Kreis der G-7-Gruppe zu klären.

Gleich zwei deutsch-japanische Dialogforen, das eine ganz allgemein, das andere zum Thema High-Tech-Kooperation, sollen diesen Eindruck vermeiden. Zwar haben die Foren keinen konkreten Auftrag. Aber wohl gerade deshalb sollen sie die Regierungen mit neuen Ideen beliefern. Ganz nüchtern betrachtet, sind das auch schon alle Ergebnisse vom deutsch-japanischen Gipfel.

Wie von Kohl nicht anders zu erwarten, spielten die international brisanten handelspolitischen Themen eine eher untergeordnete Rolle. Der Kanzler schloß sich den harten Kritiken der neuen US-Administration am japanischen Handelsüberschuß nicht an. Statt dessen warnte er vor Protektionismus und Behäbigkeit: „Wir müssen in Deutschland wieder etwas früher aufstehen und unseren Job gut machen“, empfahl er den deutschen Automobilarbeitern, deren Branche derzeit wie keine andere aufgrund der japanischen Konkurrenz Federn läßt.

Im Grunde sieht der Kanzler im internationalen Wettbewerb mit den japanischen Firmen keine allzu große Besorgnis. Er selbst kommt aus Ludwigshafen, wo die Chemieindustrie groß ist. Die aber verfügt als einzige deutsche Industrie auch in Japan über gute Marktpositionen. Selbst der deutsche Maschinenbau, der auf Drittmärkten bereits stark unter der japanischen Roboteroffensive ins Schwanken gerät, ist für den Kanzler immer noch Weltspitze.

Am Ende seines Japanbesuchs hat Helmut Kohl schon wieder einen Altvertrauten im Sinn: Auf dem Rückflug von Seoul will er in Moskau haltmachen und Boris Jelzin treffen. Für ihn ist er schließlich auch in Tokio gewesen. Ob es freilich die Japaner überzeugt hat, wenn der Bundeskanzler auf seinem ersten bilateralen Japanbesuch seit 10 Jahren mehr als weltpolitischer Wandler denn als besonderer Freund erschien, bleibt abzuwarten.