Aufatmen bei den Sozialisten

■ Kaum Widerstand gegen Rocard-Vorschläge/ Führung und Mitglieder der Regierungspartei bereiten das Ende vor

Wie ein Rettungsring ist Michel Rocards Initiative von den Sozialisten angekommen. Vor allem bei der Basis. „Zwei Drittel der PS- Wähler sind sogar mit der Formel vom Verschwinden der PS und der Bildung einer neuen Bewegung einverstanden“, unterstreicht der Politologe Olivier Duhamel. „Dazu kommt eine starke Zustimmung bei den meisten gewählten Sozialisten, als ob sie die Initiative erhofft hätten, um ihrem Handeln neuen Sinn zu geben.“ Einzig Parteichef Laurent Fabius, dessen Amt auf dem Spiel steht, reagierte als Platzhirsch: „Michel hat seine Vorschläge gemacht, ich mache die meinen nach den Wahlen.“ Doch Fabius wurde von der breiten Zustimmung überrollt und mußte dem letzten Hoffnungsträger der Linken seinen Segen geben.

Rocard will mit der Neuordnung „am Morgen nach der Wahl beginnen“; die PS forderte er auf, „sehr schnell, vielleicht im Juni“ einen Parteitag abzuhalten. Bis dahin dürften die Flügelkämpfe neu aufflammen. „Die Trennlinien verlaufen durch die Clans selbst“, meint Duhamel. Vor allem unter den AnhängerInnen des früheren Bildungsministers und Ex-Parteichefs Lionel Jospin, der für traditionellen Sozialismus steht, gebe es Leute, die das Abenteuer wagen wollten, und solche, die an der alten Struktur festhalten wollten. Viele Clanführer versuchen bereits, Startpositionen für den Urknall einzunehmen. So forderte der PS-Abgeordnete und ehemalige Trotzkist Julien Dray, der die dem Elysée nahestehende Gruppe „Gauche Socialiste“ leitet, eine schnellere Gangart: Noch vor den Wahlen solle ein nationales Komitee für die Erneuerung entstehen. Der PS-Abgeordnete François Hollande, Chef des von Jacques Delors gegründeten, christlich-sozial orientierten Clubs „Témoin“, will ein Manifest vorlegen, um der neuen Bewegung „Inhalt“ zu geben. Delors wünscht wie Präsident Mitterrand, daß die PS in der neuen Bewegung überlebt und ihren Werten treu bleibt.

Offene Kritik an Rocard äußern derzeit nur die „Chevenementisten“, die eine völlige Neubildung der Linken für längst überfällig halten. „Erneuerung ist aber nicht über eine inhaltsleere Allianz mit Zentristen, gemäßigten Rechten oder aber den Öko-Parteien möglich“, kritisiert Jean-Yves Autexier, PS-Abgeordneter und Generalsekretär der früher marxistischen Richtung hinter Ex-Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevènement, die sich heute „Sozialismus und Republik“ nennt. „Wir fordern die republikanische Erneuerung der gesamten Linken, also von Sozialisten, Ex-Kommunisten und Leuten, die heute grün wählen, weil sie von der Linken enttäuscht sind.“ Zuerst müsse ein Programm gesucht werden, nicht Bündnispartner. „Wir denken über die Präsidentschaftswahlen hinaus“, sagt Autexier.

Auch bei den Reformkommunisten stößt die Initiative auf offene Ohren, greift sie doch ihren Wunsch auf, „was Neues zu machen“, so Philippe Herzog, der zwar im Politbüro der KPF sitzt, aber mit der Parteiführung im Clinch liegt. Ex-Minister Charles Fiterman bedauerte, daß Rocard dabei auch den „Kräften von rechts“ Avancen macht. Die Dissidenten haben vor zwei Jahren parteiübergreifende Gesprächskreise namens „Neugründungen“ und (zusammen mit Rocard) „Konfrontationen“ gegründet. Einige von ihnen warten nur auf eine Gelegenheit, um der Betonfraktion um KP-Chef Georges Marchais den Rücken zu kehren. Bettina Kaps/Paris