Tennis mit Kleist

Andras Fricsay hat Kleists „Amphitryon“ in München inszeniert  ■ Von Thomas Pampuch

Seit seinen tollen „Räubern“ vor ein paar Jahren gilt Andras Fricsay in München als komischer Heiliger im wörtlichsten und besten Sinne. Da ist nicht nur sein Zweitname Kali Son (aus den Namen zweier indischer Gottheiten zusammengesetzt), er läuft auch auf seinen eigenen Premieren herum, als käme er von einem anderen Stern: mit Totenkopfwickelrock, irren Cowboystiefeln, Glatze unterm Kopftuch. Und was er in seinen Interviews verbreitet, hat – sehr indisch – meistens weitaus mehr als eine Hand und einen Fuß. „Die Vernichtung steht bevor... Die Zeit ist reif für einen Messias...“, verkündete er ein paar Tage vor seiner neuesten Inszenierung, und dann ließ er seinen Bühnenbildner Jorge Villareal (der schon die legendäre „Räuber“- Steilwand entworfen hatte) erst mal ein riesiges rotes (gebrochenes?) Teppichherz auf die Bühne der Residenz wuchten, auf daß die Götter und Menschen von Theben sich darauf ergötzen.

Daß er so komisch ist, verdankt Fricsay, in München jedenfalls, zuförderst dem furiosen Rufus Beck, dem es (wie schon in den „Räubern“) gelungen ist, seine an eine Mischung aus Otto und Boris Becker erinnernde Persönlichkeit auch noch mit den Talenten dieser beiden zu kombinieren. Will sagen: die Freude am Spaß und der Wille, immer das Letzte zu geben.

Und so legte Rufus denn als köstlicher Sosias so manchen schrägen Otto auf die Bühne und blieb mit einer Becker-Rolle nach der anderen alles nur nicht auf dem Herzerlteppich. Das war spaßig, nur ist Theben eben nicht das Wimbledon-Einzel. Weshalb sich im Verlauf der göttlichen Verwicklungen irgendwann das aktuelle Michael-Stich-Davispokal-Syndrom einstellte. „Und wer spielt mit mir?“ schienen sich von Jupiter (Thomas Meinhardt) über Merkur (Gerd Anthoff, der immerhin ein paar lustige Bajuwarismen beisteuerte) bis hin zum männlich kernigen Amphitryon (Michael Mendl) die übrigen Spieler zu fragen. Da lag die Crux des Abends.

Wir wollen nicht beckmesserisch sein, aber Kleists herrlicher Witz erblühte allzu sehr bei Sosias allein. (Auch wenn Antje Schmidts drall-ordinäre Charis das Herz erfreute.) Kleists menschlich-göttliche Abgründe gerieten bei dieser Spielanlage, wenn es mal ernst wurde, immer ein wenig flacher, als sie es eigentlich sind. Alkmene (Esther Hausmann), mühte sich zwar redlich, ihrer Verwirrung darüber Ausdruck zu verleihen, welcher Stier sie denn nun bestiegen hatte, aber die dem ganzen innewohnende Tragik kam nicht so recht rüber. Dem berühmtesten „Ach!“ der deutschen Theatergeschichte fehlte, als sich der eiserne Vorhang über Alkmene senkte, der nachgewiesene Leidensdruck. Da half es auch nichts, das Kali Son einen wunderbaren Theater-Blitz und -Donner nachfeuerte.

Der bayrische Räte-Anarchist Gustav Landauer hat Kleists Amphitryon einmal „das tiefste Drama, das die Deutschen mir zu besitzen scheinen“ genannt. „So wie da Jupiter – die Welt – sich sehnt, in der Menschenseele als Ganzheit zu leben und sie auszufüllen, so sehnt sich in besten Stunden meine Seele, die Welt in sich aufzunehmen.“ Der fröhliche Anarchismus, mit dem Fricsay vor allem Sosias (in köstlichen Kostümen von Karin Adams) herumhampeln läßt, hätte Landauer sicher gefallen. Doch das eben auch Anarchisten eigene Sehnen eines Jupiter, bleibt weitgehend auf der Strecke. Ebenso wie der vom Gott zum Hahnrei gemachte Amphitryon auch nur ein Hahnrei bleibt, der, verzweifelt wie er ist, Harakiri machen möchte.

Natürlich darf Fricsay mit den Klassikern machen, was er will und er hat ein „Lust“-Spiel inszeniert, das dem Residenztheater zur Ehre gereicht, vielleicht gerade weil er es mit so lockerer Hand und ohne Angestrengtheit getan hat. Aber vom komischen Heiligen ist diesmal nur das Komische übriggeblieben. Und bei einem Kali Son hätte man sich, wenn er schon einen Gott auf die Bühne bringt, noch ein wenig mehr zur Dialektik des Göttlichen gewünscht. Wo doch die Zeit für einen Messias reif ist.

Heinrich von Kleist: „Amphitryon“ im Münchner Residenztheater, Inszenierung: Andras Fricsay, Bühne: Jorge Villareal. Mit Thomas Meinhardt, Rufus Beck, Esther Hausmann, u.a. Weitere Vorstellungen: 7., 13., 14.3.