Italien: Amnestie für korrupte Politiker

■ Der neue Justizminister Giovanni Conso will große Tiere mehr in den Knast schicken/ Die „Reform“ soll per Dekret ohne Parlamentsdebatte in Kraft treten

Rom (taz) – Der Ruf kam aus dem fernen Mailand und war auch nicht sonderlich laut. Doch in Rom kam er an, als sei er einer Tausend- Watt-Verstärkeranlage entwichen: Antonio Di Pietro, Chefermittler der Antikorruptionssonderkommission „Mani pulite“, Saubere Hände, hatte nach einem erneut ohne Freizeit verbrachten Wochenende gestöhnt: „Jetzt kann ich bald wirklich nicht mehr, vielleicht sollten die in Rom auch mal über eine politische Lösung der Sache nachdenken.“

Nichts lieber als das, hallte es aus Rom zurück. Wo schon ein gutes Viertel der Abgeordneten mit Ermittlungsverfahren überzogen ist, ein Dutzend Minister und Staatssekretäre vor den Kadi muß und Unternehmer und Manager selbst aus den nobelsten Firmen im Knast landen, da muß man schleunigst etwas tun. Gut paßt da, daß man soeben einen neuen Justizminister bekommen hat (der frühere mußte wegen eines Ermittlungsverfahrens gehen) und daß er seit seiner Tätigkeit als Präsident des Verfassungsgerichts allseits gut gelitten ist: Wenn dieser parteilose Mann sich für eine Lösung stark macht, wird man ihn nicht gleich verdächtigen, nur seine Freunde reinwaschen zu wollen. Und Giovanni Conso, der neue Justizchef, scheint zu funktionieren: Kaum beauftragt, zieht er bereits seine Vorschläge hervor, und er will sie auch mit Hilfe eines Dekrets, also vor jeder parlamentarischen Beratung, sofort in Kraft setzen.

Wer sich selbst anzeigt, bekommt kein Verfahren

Die neuen Normen sehen eine strikte Trennung verschiedener Tatbestände vor: Wer nur wegen Verstoßes gegen das Parteienfinanzierungsgesetz belangt wird, soll künftig weder in Untersuchungshaft genommen werden können noch allzu große Strafen fürchten müssen. Relevant bleiben sollen jedoch die anderen, ihrerseits ebenfalls einer großen Anzahl von Politikern vorgeworfenen Delikte wie Bestechlichkeit, Erpressung (wenn Aufträge nur unter der Bedingung von Schmiergeldzahlungen erteilt wurden) und Hehlerei (wenn die Gelder auch noch versteckt oder gewaschen wurden). Allerdings möchte Conso auch hier zu einer Verfahrenserleichterung kommen: Wer sich selbst anzeigt – als Bestechender oder als Bestochener –, bevor die Staatsanwaltschaft ihm auf die Schliche kommt, oder wer die angenommenen Gelder sofort in voller Höhe zurückzahlt und sich bereit erklärt, auf eine noch festzulegende Zeit weder öffentliche Ämter noch verantwortliche Stellen in staatlichen oder privaten Firmen einzunehmen, der soll das Recht auf Patteggiamento bekommen. Das ist eine dem amerikanischen Gerichtsverfahrensrecht abgeguckte Norm, nach der der Prozeß entfällt, wenn sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf eine bestimmte Sanktion einigen und das Gericht dem zustimmt.

Kritik hat die Initiative des neuen Justizchefs von verschiedenen Seiten erfahren: So bemängeln Oppositionelle wie die Mitglieder der Antikorruptionspartei „La Rete“ und die linke „Rifondazione Comunista“ ebenso wie die Neofaschisten, daß mit dem Wust von Differenzierungen und Mauscheleien bald jegliche Klarheit verwischt und der Großteil der Politiker und Manager wieder in Amt und Würden sein könnten. Besonders scharf rückt die katholische Kirche der EG zu Leibe, Schmiergeldannahme zugunsten von Parteien milder als persönliche Bereicherung zu bestrafen: Genau umgekehrt müsse es sein, so ein enger Papstberater am Wochenende, denn wer in die eigene Tasche stecke, sei allenfalls menschlich schwach, die Parteien jedoch müßten dem Volk ein Vorbild an moralischer Sauberkeit sein. Wer für sie Unrecht begehe, sündige mehr als der normale Dieb. Werner Raith