Angriff auf die männliche Schweiz

Die Genfer Sozialdemokratin Christiane Brunner will Außenministerin werden/ Die bürgerlichen Parteien wollen ihr Eindringen in ihre Herrenriege verhindern/ Morgen wird gewählt  ■ Aus Basel Thomas Scheuer

Gewöhnlich kratzt es in Washington niemanden groß, was Politiker in der Schweiz von sich geben. Doch kürzlich sah sich die eben erst inthronisierte Clinton- Administration genötigt, den Botschafter Washingtons in Bern mit einer diplomatischen Demarche gegen die Äußerung eines schweizerischen Ministers protestieren zu lassen. Bundesrat Adolf Oggi hatte gefeixt, demnächst werde wohl eine Frau im Weißen Haus das Zepter führen. Eine Anspielung auf den Beraterinnen-Status der Präsidenten-Gattin Hillary Clinton. Oggis Äußerung offenbart das ungetrübt gültige Frauenbild der eidgenössischen Politikerkaste: Frauen, die es nicht am Herd hält, sind nur als männerknechtende Drohnen vorstellbar.

Die öffentliche Diskussion über die Rolle der Frau in der Politik im allgemeinen und im besonderen darüber, ob eine Frau etwas in der Regierung zu suchen hat, erhitzt sich seit Wochen an einem aktuellen Anlaß: Am morgigen Mittwoch wählt die vereinigte Bundesversammlung, bestehend aus kleiner und großer Kammer des Parlaments, einen neuen Bundesrat. So heißen in der Schweiz die Mitglieder der nur siebenköpfigen Regierung, derzeit eine reine Herrenriege. Nach dem Willen der Sozialdemokraten soll es eine Bundesrätin sein.

Ersatz ist nötig für den kürzlich zurückgetretenen Außenminister René Felber. Der hatte sich vehement für den Beitritt seines Landes zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) stark gemacht und dessen Ablehnung in einer Volksabstimmung im vergangenen Dezember auch als persönliche Schlappe empfunden.

Da mit Felber ein Sozialdemokrat seinen Bundesratssessel räumte, steht den Sozis das Vorschlagsrecht für die Nachfolge zu. Die haben mit Christiane Brunner eine Kandidatin nominiert, die so ziemlich alle Eigenschaften verkörpert, die der bürgerlichen Mehrheit in Parlament und Regierung gegen den Strich gehen: Brunner kommt aus Genf, also aus dem französischsprachigen Landesteil, wo das Wahlvolk besonders deutlich pro Europa votierte und neuerdings immer lauter gegen die Dominanz der Deutschschweiz aufmuckt. Brunner ist engagierte Gewerkschafterin und zählt zum eher progressiven Flügel der Sozialdemokraten. Sie trat öffentlich für eine Liberalisierung des Abtreibungsverbotes ein und ließ zu allem Übel auch schon mal Kritisches über die Armee verlauten. Ihr schwerstes Handicap aber ist, daß Frau Brunner – eben eine Frau ist.

„Ihre Unabhängigkeit bereitet uns Furcht“

Es ist ganz offenbar ihr Selbstverständnis vom Frausein, das der schweizerischen Politikerkaste Mühe macht. „Ihre Unabhängigkeit, ihr neuer Stil, das allein bereitet uns Furcht“, gesteht unumwunden Iwan Rickenbacher von der konservativen Christlichen Volkspartei (CVP) ein. Auch Bernard Rohrbasser, Abgeordneter der Schweizerischen Volkspartei (SVP), findet in erster Linie „ihre feministischen Haltungen problematisch“.

Die Auseinandersetzung um die Kandidatin Christiane Brunner nahmen in den letzten Wochen Züge einer Schlammschlacht an. Ein anonymes „Komitee für die Rettung der Moral unserer Institutionen“ lancierte Gerüchte über angeblich kompromittierende Fotos, die unter Politikern und Journalisten die wildesten Männerphantasien über Brunners Privatleben auslösten. Inzwischen ist selbst ihren politischen Gegnern die Sache eher peinlich.

Nachdem sich Christiane Brunner gegen ihren parteiinternen Mitbewerber Francis Matthey aus Neuenburg durchgesetzt und der Parteivorstand der SPS sie als alleinige Bundesratskandidatin nominiert hat, weiß die Genferin die sozialdemokratischen Abgeordneten beim morgigen Wahlgang geschlossen hinter sich. Auch Francis Matthey will morgen für sie stimmen.

Doch in der Bundesversammlung haben die bürgerlichen Parteien, die zusammen mit den Sozis seit bald einem halben Jahrhundert in einer Allparteienkoalition quasi oppositionslos die Alpenrepublik regieren, eine deutliche Mehrheit. Und das Gros der bürgerlichen Abgeordneten machte im Vorfeld der Wahl aus seiner Aversion gegen Brunner keinen Hehl.

Damit droht den Sozialdemokraten die Wiederholung einer schmerzhaften Erniedrigung: Schon einmal nämlich, vor zehn Jahren, scheiterten die Sozis mit einer Ministerin-Kandidatin, der Zürcherin Lilian Uchtenhagen. Sie wäre damals die erste Bundesrätin in der Geschichte der Schweiz gewesen. Doch die bürgerliche Mehrheit hievte statt der offiziellen SP-Kandidatin aus Zürich den biederen Otto Stich aus Solothurn in die Regierung – der nahm die Wahl prompt an. Die progressiven Kräfte der SPS forderten damals den Austritt der Partei aus der Regierung. Doch ein Sonderparteitag, der wegen seiner mehrheitlich ländlichen Delegierten als „Landsturmparteitag“ in die Parteiannalen einging, lehnte dies ab.

Wenige Jahre später wählte die bürgerliche Mehrheit die freisinnige Elisabeth Kopp zur ersten Bundesrätin der Schweiz. Justizministerin Kopp mußte im Zusammenhang mit einer Geldwäscheraffäre zurücktreten.

In den Kulissen des Berner Bundeshauses drehen sich die Spekulationen am Vorabend der Wahl um die Preisfragen: Was, wenn nun die bürgerliche Mehrheit am Mittwoch Frau Bunner wie weiland Frau Uchtenhagen abblitzen läßt und den Sozialdemokraten einmal mehr diktiert, wen sie in die Regierung schicken dürfen? Was, wenn das Gros der Bundesversammlung beispielsweise den im SPS-internen Auswahlverfahren unterlegenen Francis Matthey zum Bundesrat befördert? Was, wenn Matthey die Wahl gar akzeptiert? Für diesen Fall liebäugeln Teile der sozialdemokratischen Parteibasis wieder mal mit einer Aufkündigung der Allparteienkoalition. „Lieber in der Opposition statt ständig Ohrfeigen“, meint ein Parteifunktionär. Die Parteiführung weicht dem Thema bislang aus.