Nachschlag

■ Jean-Pierre Lefebvre las im Institut français

In finsteren Zeiten spielt der doppelbödige, symbolisch überhöhte Kriminal- und Agentenroman „Die Nacht des Fährmanns“ von Jean-Pierre Lefebvre; nicht an das ganz dunkle Kapitel deutscher Geschichte macht er sich allerdings, sondern an das zwielichtig halbdüstere, das ihm folgte: Ein französischer Lektor kommt 1967 in Heidelberg einer Organisation ehemaliger, durchaus weiterpraktizierender und -paktierender Nazis auf die Spur und muß feststellen, das diese, obwohl stadtbekannt, völlig unbehelligt bleiben und im Zweifelsfalle gedeckt werden. Erklärtermaßen verarbeitet die Geschichte eigene Erfahrungen; ihr Verfasser kam 1965 zum ersten Mal nach Heidelberg und mußte dort, wie sein Held, feststellen, was man damals nicht feststellen durfte. „Die Nacht des Fährmanns“ ist Lefebvres erster Roman, eigentlich lehrt er – gediegener geht es kaum – deutsche Literatur und Philosophie an der Ecole Normale Supérieur in Paris und hat unter anderem Hölderlin und Hegel ins Französische (neu)übersetzt. Es soll die „Phänomenologie des Geistes“ gewesen sein, die Lefebvre bewog, einen Roman zu schreiben; die Aussicht, zwei bis drei Jahre übersetzend im Tête-à-tête mit Hegels dialektischen Verstrickungen zubringen zu müssen, ängstigte ihn derart, daß er sich, ausgleichshalber, an das Ausspinnen eines weniger versponnenen Plots machte. Diesen hat er wohl zum ersten Mal in einer Lesung vorgestellt; jedenfalls erklärt er einführend etwas verunsichert, er wisse nicht recht, was man von ihm erwarte, da in Frankreich Lesungen ein eher seltenes Ereignis seien. Dort ginge man davon aus, daß der Autor schreibe, zu lesen habe der Leser. Wie sich herausstellte, hatte man im vorliegenden Fall nichts dergleichen getan (obwohl „Die Nacht des Fährmanns“ seit einem Jahr übersetzt vorliegt). Damit war für Lefebvre die Aufgabe klar, und nach anderthalb Stunden intensiven Vorlesens waren die im Saal Anwesenden dem französischen Ideal schon ein gutes Stück nähergerückt.

Es nützte aber nicht viel. Lefebvre, der so gern über seinen Roman gesprochen hätte, wurde hartnäckig zu seinen Hölderlin- Übersetzungen befragt, und erst über Hölderlins Reise nach Frankreich fand der Autor einen Schleichweg zurück in seinen Roman, der auf jenseits der Story liegende literarische Höhen anspielt und unter anderem den universitären Amateurdetektiv abschließend den gleichen Weg nach Bordeaux zurücklegen läßt, den einst Hölderlin reiste. Die Lesung abschließend, trug Lefebvre dann noch eine Art makroliterarisches Glaubensbekenntnis vor: Wer die Staatentrennung und -abgeschlossenheit vermittelnd, übersetzend, überwinden wolle, könne auch die Arbeitsteilung, deren Folge die Zersplitterung in Staaten sei, nicht unwidersprochen hinnehmen, oder anders ausgedrückt: Auch ein Philosophieprofessor und Übersetzer habe das Recht, Krimis zu schreiben. Warum so ganzheitlich? Es hätte sich doch so schön dialektisch erklären lassen. Iris Michachs