Melancholisch verkrustet

■ Ungebildete und anonyme Leichenschänder stritten auf dem 3. Internationalen Arnold-Schönberg-Kongreß in Duisburg wider das Versiegeln mit Blattgold

„Um die Wahrheit zu sagen: Schönberg weckt mehr Respekt als Zuneigung... Die Bewunderung, die ihm seine Schüler entgegenbrachten, war unbegrenzt, ja kritiklos.“ Pierre Boulez, der bereits 1951 mit seinem Vortrag „Schönberg ist tot“ der fleißig zwölftönig komponierenden Nachkriegsgeneration einen provokanten Abgesang entgegengeschleudert hatte, schrieb dies 1974 über ein anscheinend zeitloses Phänomen. Auch das viertägige Duisburger Meeting von Musikwissenschaftlern und Historikern unter der Leitung von Rudolf Stephan (Berlin) hatte etwas von einem Forschungszirkel, der das Denkmal „Schönberg“ mit Blattgold zu versiegeln sucht.

Empfindliche Empörung also, als Norbert Linke (Uni Duisburg) die Auswertung seiner Umfrage bekanntgab, die den Einfluß des Revolutionärs Schönberg auf die heutigen Komponisten untersuchte. Lediglich ein Tonsetzer von 33 angeschriebenen (Wolfgang Rihm) bekannte sich zu dem Erneuerer, der mit seiner „Entdeckung von den zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ (1923) das dodekaphonische Musikzeitalter eingeleitet hatte. Der Rest leugnete nicht die historische Bedeutung Schönbergs, lehnte aber sein kompositorisches Denken als antiquiert ab.

Umgehend wurden die anonymen Leichenschänder von Professor Stephan als „ungebildet und unkultiviert“ beschimpft, die aggressive Emphase der Fünfziger, als Nono, Stockhausen und Boulez in die Musikzentren Darmstadt und Donaueschingen einzogen, bestimmte kurzzeitig noch einmal den Kongreßssaal.

Der alte „Fall“ Schönberg also, bloß daß er seine Protagonisten heute statt in der Komponistenzunft eher in der Musikwissenschaft findet? Oder nur ein Arnold Schönberg, dessen ×uvre in den Jahren 1897 bis 1950 zwischen Genialem („Fünf Orchesterstücke op. 5“), Restriktivem („Variationen für Orchester op. 31“), aber auch erschreckend Menschlichem („Der biblische Weg“) changierte?

Ein Schwerpunkt in den Referaten lag auf dem Klangexperimentator Schönberg, dessen musikalische Wurzeln in der Wagner- Brahms-Tradition liegen. Horst Weber (Essen) zeichnete den Weg aus dem romantisch-tonalen Pathos in die Atonalität nach, indem er auf die redundante Orchestrierung (Streichung von Oktaven in „Pelleas und Melisande op. 5“) in den frühen Werken hinwies. Durch die Entrümpelung schuf sich Schönberg ein Terrain, das er mit übermäßigen und verminderten Intervallen füllen konnte – neuartige Klangfarben durchzogen nun die Tonalität. Gerade in dem dritten Orchesterstück op. 16, so Christian Martin Schmidt (Berlin), schafft ein fünftöniger Akkord in seiner abwechselnden Instrumentation eine Farbe, die erstmals für den weiteren Verlauf eines Stückes funktionellen Charakter besitzt.

Solche und ebenso engagierte Vorträge über Schönbergs Reihentechnik (Regina Busch/Wien, Giselher Schubert/Frankfurt a.M.) stellten eher die typische Symposiumskost dar. Kritische, kulturpolitische Betrachtungen waren da schon eine Seltenheit. Wie vor drei Jahren beim Duisburger Kurt- Weill-Festival war es Jost Hermand (Madison), der geradezu erfrischend unakademisch vergangene Epochen nachzeichnete und die Konfrontation nicht scheute. In seiner Untersuchung über Schönbergs Drama „Der biblische Weg“ im Rahmen des deutschen Zionismus der zwanziger Jahre zeigte Hermand einen radikal-militanten Schönberg, der im Sinne Theodor Herzls für die Errichtung eines jüdischen Staates einsteht. Schönbergs Parole „Das Recht leitet sich aus Macht heraus“, geschrieben 1924 in Pro Zion, ist ein Bekenntnis zur Waffengewalt. Schon 1922/23 hatte er sein Drama als Allegorie auf die Volkwerdung des Judentums geschrieben, die für ihn nur mit Hilfe paramilitärischer Wehrsportgruppen und der Neutronenbombe (!) zu erreichen war. Schönberg war so begeistert von diesem Stück, daß er 1933 überlegte, es Max Reinhardt zur Inszenierung anzubieten.

Weitere Referate, etwa von Alexander Ringer (Urbana) und Alfred Goodman (München), konnten und wollten über das Niveau amüsanter Anekdotensammlungen nicht hinaus, so daß tatsächlich nur Hermands bemerkenswerter Vortrag blieb, der melancholisch-verkrusteten Schönberg-Rezeption neue Impulse zu geben. Für einen Kongreß scheint das ein bißchen mager, doch signalisierte ein Großteil der 170 Teilnehmer zumindest per Beifall, daß eine Kursänderung in Zukunft nicht auszuschließen ist. Guido Fischer

Parallel zu dem Duisburger Festival „Arnold Schönberg und neue Musik in Deutschland, Österreich und der Schweiz“ ist noch bis zum 28.3. die Ausstellung „Begegnung mit Arnold Schönberg“ im Kultur- und Stadthistorischen Museum zu sehen.