Letzte Tage in Togo

Hunderttausende Bewohner sind vor dem Terror des Militärs ins Ausland geflohen/ Szenen einer Eskalation, die ein friedliches Leben unmöglich macht  ■ Von Mensah Kossi

Der Premierminister von Togo, Joseph Kokoh Koffigoh, wohnt in einem Bunker mit hohen Mauern, Zinnen und Schießscharten. Die ehemalige Präsidentenresidenz außerhalb des Zentrums der Hauptstadt Lomé ist über die Hafenstraße zu erreichen. Hier fand Koffigohs Fahrer den Tod.

Eigentlich wollte der Fahrer, ein Soldat und übrigens eng verwandt mit seinem Arbeitgeber, nur den Leibdoktor des Premierministers nach Hause fahren. An der Kreuzung des Boulevard Circulaire hielt eine Polizeikontrolle die beiden an, ließ sich die Ausweise zeigen und durchsuchte das Auto. Bald ratterten die Maschinenpistolen; kurz darauf war der Fahrer tot. „Irrtümlicherweise“, hieß es später von offizieller Seite.

Auf der Straße erzählt man sich jedoch, daß der Fahrer gar nicht erschossen wurde. Die vielen Kugeln hätten dem Chauffeur nichts anhaben können, weil dieser den Schutz eines gri-gri, einer Zauberei, besaß. Demnach stand in seinem Heimatdorf Kpele ein Krug mit klarem Wasser, das sich im Augenblick des Polizeiangriffs in Lomé rot färbte; das Gebräu brodelte und kochte, und alsbald entstieg dem Krug ein Geist des Fahrers. Seine Mutter strich Salbe auf die Stellen des Geisterkörpers, wo der reale Fahrer von Kugeln getroffen worden war, tauchte ihn dann ins Wasser und erweckte damit ihren Sohn wieder zum Leben. So sei der Fahrer dem Tod entkommen.

Leider habe das, so die Erzählungen weiter, nichts genützt. Denn nach dem erfolglosen Erschießen hätten die Polizisten dem armen Fahrer ihre Bajonette in alle denkbaren Körperstellen gerammt und ihm auf diese Weise das Leben genommen. Koffigohs Fahrer hatte eben seinen gri-gri nur für Gewehrkugeln anfertigen lassen, nicht für Messer und Stichwaffen.

Warum diese mysteriöse Schießerei? Warum wird der Fahrer eines Premierministers, der ursprünglich aus der Bürgerrechtsbewegung stammt, sich aber Zug um Zug mit Präsident Gnassingbe Eyadema arrangiert hat, von der Polizei des Präsidenten umgebracht? „Koffigoh wollte seinen Cousin und Chauffeur loswerden“, erzählt ein Loméer. „Mittlerweile ist dem letzten Esel klar, welch abgekartetes Spiel Koffigoh und Eyadema miteinander spielen. Eyadema weiß, daß er Togo nie mehr wird regieren können, und er ist sich seiner Greueltaten bewußt. Jetzt will er nur noch eine Generalamnestie und, wenn möglich, einen ehrenvollen Abgang. Dafür hat er sich Koffigoh gekauft.“

Was hat diese Verschwörungstheorie mit dem Tod des Fahrers zu tun? „Der hatte am Tag vor seinem brutalen Ende entdeckt, daß Koffigoh einen Koffer voller Geld beim Präsidentenpalast bekommen hatte“, fährt der Erzähler fort. „So hat er seinen Cousin gefragt, wofür denn das Geld sei. Der Premierminister wollte ihm als Antwort wortlos einen Packen Scheine überreichen, was dieser aber entrüstet ablehnte. Nun war der Fahrer zum lästigen Zeugen geworden, der liquidiert werden mußte.“

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Daß Kokoh Koffigoh, der nach der Nationalkonferenz vom Sommer 1991 sein Amt angetreten hatte, um Eyademas Militärdiktatur ein Ende zu machen und Togo zur Demokratie zu führen, nun auf der falschen Seite steht – davon sind die Loméer überzeugt. So erklären sie sich auch, warum Staatschef Eyadema vier Tage vor Weihnachten über alle Staatsmedien verbreiten ließ, daß am 31. Dezember 1992 die Mandate der von der Nationalkonferenz eingesetzten Übergangsinstitutionen – inklusive Premierminister – abliefen und er „logischerweise“ die ganze Sache wieder in die Hand nehmen müsse, damit endlich „Frieden und Ruhe“ in das seit Mitte November vom Generalstreik gelähmte Land einkehren könnten.

Schließlich verging die Jahreswende in Friedhofsruhe, der gefürchtete Staatsstreich fand nicht statt. Statt dessen gingen Gerüchte um, wonach Oberstleutnant Narcisse Djoua, eine treue rechte Hand des Präsidenten Eyadema, selber einen Putsch inszenieren sollte. Djoua würde den Staatschef vorübergehend einsperren, um dann unter der Opposition aufzuräumen und den Premierminister zu liquidieren. Zwei Wochen danach hätte er den Präsidenten wieder hervorgeholt und ihn mit der Bildung einer neuen Regierung nach Geschmack der einstigen Staatspartei beauftragt.

Auch dieser Putsch blieb aus, die neue Regierung aber gibt es nun doch: Mitte Februar bildete Koffigoh sein Kabinett um und ernannte eine neue, mittlerweile die vierte, Übergangsregierung aus acht Eyadema-treuen und zehn Koffigoh-treuen Ministern. Die Opposition, die größtenteils ins Ausland geflohen ist, wurde nicht gefragt und hat international um Nichtanerkennung der neuen Regierung gebeten. Der Generalstreik dauert derweil fort.

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Am Abend des 21. Januar ist die „Avenue Franz Josef Strauß“ blockiert; Barrikaden und Menschenmassen sind auf der Straße. Grund für den Aufruhr: Der Präsident des Übergangsparlaments, der oppositionelle Erzbischof Philippe Fanuko Kpodzro, sollte von Soldaten ermordet werden; aufgebrachte Demonstranten wollten dies verhindern. Denn am selben Tag hatte das Parlament getagt, zum ersten Mal in drei Monaten. Präsident Eyadema hatte sich, als er davon erfuhr, an seine vorweihnachtliche Putschdrohung erinnert und erklärt, das Parlament existiere seit dem 31. Dezember gar nicht mehr; Schützenpanzer sperrten die Straße zum Kongreßpalast ab.

Die Militärsperre konnte die Parlamentssitzung nicht verhindern. Der schwere Wagen des Erzbischofs wurde einfach von einem Haufen junger Männer auf die Schultern genommen und an den Panzern vorbei zum Haupteingang des Palastes getragen.

Das war wenige Tage vor der Vermittlungsreise des deutschen Staatsministers Helmut Schäfer und seines französischen Kollegen Marcel Débarge, bei der Polizisten je nach Quelle 16 bis 100 Menschen erschossen und der Innenminister in den Abendnachrichten erklärte: „Ein Polizeifahrer wurde von Oppositionellen erschossen, und wir hielten dann in die Luft, um die Meute zu vertreiben. Wir haben nicht in die Menge geschossen. Alle Opfer sind wahrscheinlich in der Panik zertrampelt worden.“ Schäfer und Débarge durften später einen Blick in die Aufbahrungshallen werfen, wo die angeblich Zertrampelten Schußlöcher aller Größen aufwiesen.

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Destabilisierung nach klassischem Muster ist eine Spezialität des togoischen Präsidenten. Am 30. Januar zeigte das Abendfernsehen zwei Leichen. Die eine war verkohlt, die andere geköpft. Beide waren, so der Sprecher, Polizisten. Beide seien im Stadtviertel Be ermordet worden. Be gilt als Hochburg der Opposition, als togoisches Soweto.

Die Ausstrahlung hatte Konsequenzen. Schon am nächsten Tag fiel die Präsidialgarde über Be her; man sprach offiziell nachher von sechs Toten und ein paar Dutzend Verletzten. Bewohner Bes wollen wissen, daß Leichen lastwagenweise eingesammelt und entweder in den Busch oder vor Wohnhäuser geschmissen wurden.

Am Abend des gleichen Tages begann die Präsidialgarde, alle nennenswerten Geschäfte im Stadtzentrum zu plündern. Die Beute wurde auf Militärlastwagen weggeschafft und ist heute zu zehn bis zwanzig Prozent ihres Wertes in den Kasernen zu haben. Am nächsten Sonntag kamen noch einmal zwei Handelszentren dazu. Die Geschäftsstraße Rue de Commerce sah aus wie nach einem Krieg. Wie durch ein Wunder wurden alle Geschäfte, an denen Eyadema einen Anteil hält, von der Plünderei verschont. So geschah der Niederlassung der bayerischen Fleischfirma „Marox“ nichts, ebensowenig dem „Palm Beach Hotel“, das bis 1991 „Hotel President“ hieß.

Noch am gleichen Sonntag setzte eine panische Massenflucht aus der Hauptstadt ein, die davor über eine halbe Million Einwohner zählte. 300.000 Menschen sind bisher geflohen, drei Viertel davon in die Nachbarstaaten Ghana und Benin. Auf der gefährlichen, oft tödlichen Flucht lassen viele ihr gesamtes Hab und Gut zurück.

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Die Ausreise aus Togo ist schwierig in dieser Zeit, besonders am unmittelbar westlich von Lomé gelegenen Übergang in das ghanaische Aflao. So ziehen wir die Fahrt über Kpalimé weiter nördlich zur Grenze vor, von wo aus der Volta- Fluß in Ghana nicht weit liegt.

Am linken Ufer des Flusses, unterhalb des Volta-Staudammes, liegt Small London, ein 50-Hütten- Dorf, das auch Agbavi, „kleiner Fisch“, heißt. Da Fahrzeuge mit ausländischer Zulassung von 18 bis 6 Uhr in Ghana nicht fahren dürfen, ist hier eine Übernachtung notwendig.

Um 10 Uhr abends erscheint die Polizei. Neben fünf mit Maschinenpistolen bewaffneten Soldaten stehen zwei Polizisten und verlangen, daß wir ins nächste Kommissariat mitkommen. Dort heißt es, im Dorf zu übernachten sei verboten, man solle „ins Hotel“ ziehen oder sich neben dem Polizeiposten niederlassen. „Ich kann die Sache persönlich gut verstehen“, sagt der Polizeichef, „aber dienstlich habe ich meine Anweisungen. Euer Eyadema versucht seit geraumer Zeit, unser Land zu destabilisieren, vor allem seit unser Rawlings die Präsidentschaftswahlen bequem und demokratisch gewonnen hat. Wir haben von einem Szenario gehört, das auch die Sprengung des Volta-Dammes beinhaltet. Dann würde sich eine unvorstellbare Flutwelle gen Süden wälzen und alles mitreißen.“

Nachdem der Kommissar schließlich überzeugt ist, daß seine Gegenüber keine Freunde des togoischen Regimes sind, läßt er uns doch wieder nach Small London zurückkehren – nicht ohne daran zu erinnern, daß er doch gerne ein Trinkgeld und etwas zu trinken für die Armeeleute entgegennehmen würde. Über die gesammelten zehntausend Cedis ist er wenig später hocherfreut, über die dazu überreichten drei Liter Palmwein aber nicht. Die Soldaten, sagt er, sind schon nervös genug. Fruchtsaft genügt.

Inzwischen ist es weit nach Mitternacht. Auf dem 300 Meter breiten Fluß holen ein paar Fischer ihre Netze ein, der Rest des Dorfes schläft im Mondlicht. In Ghana, weitab vom togoischen Desaster, sind die Nächte ruhig.