US-Hilfsgüter fordern erste Opfer

„Ethnische Säuberungen“ gehen weiter/ Vance und Owen wollen kroatischen Bosnier zum Unterzeichner ihres Planes für die bosnische Regierung aufbauen  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Die US-Hilfslieferungen nach Ostbosnien haben erste Opfer gefordert. Nach Auskunft von UNHCR-Sprecher Ron Redmond wurden „einige“ Muslime von Serben erschossen, als sie gestern nach Tagesanbruch im Gebiet zwischen der inzwischen von serbischen Truppen eroberten Stadt Cerska und dem Ort Konjice Poje versuchten, niedergegangene Hilfsgüter zu bergen. Drei US-Transportmaschinen hatten in der Nacht zum Dienstag rund 18,6 Tonnen Nahrungsmittel und eine halbe Tonne Medikamente für die Bevölkerung von Cerska abgeworfen, dabei ihr Ziel aber zum Teil weit verfehlt.

Nach Redmonds Angaben sollen lediglich neun der in dieser Nacht abgeworfenen 16 Paletten mit Hilfsgütern „im Bereich von Cerska“ gelandet sein. Nach der Erschießung der Nahrungssuchenden hätten die Behörden von Cerska angeordnet, daß Hilfsgüter künftig nur noch in der Nacht geborgen werden sollen. Dann ist allerdings kaum festzustellen, wo sie nidergegangen sind.

Der UNHCR-Sprecher bestätigte, daß die bislang überwiegend über muslimisch bewohnten Städten und Regionen abgeworfenen Nahrungsmittelpakete auch Schweinefleisch enthalten. Das UNHCR habe gegenüber den USA dringend davon abgeraten. Die US-Luftwaffe sei allerdings nicht bereit gewesen, die bereits verschnürten Nahrungsmittelpakete noch einmal zu öffnen, um das Schweinefleisch auszusortieren.

Nach Berichten von Radioamateuren aus Cerska starteten serbische Truppen am Montag morgen einen neuen Angriff auf die seit Beginn des Krieges im April 1992 fast ständig umkämpfte und die meiste Zeit eingeschlossene Stadt Cerska. Derzeit verhandeln UNHCR und IKRK mit der Führung der Serben, um unter dem Schutz der Unprofor-Truppen mindestens zwölf Lastwagen zur Evakuierung von 1.500 Kranken und Verwundeten in die Stadt zu bringen. Möglicherweise, so Redmond, sei die Zahl evakuierungsbedürftiger Verwundeter nach der serbischen Offensive jedoch noch weit größer.

Die „ethnischen“ Säuberungen in Ostbosnien haben laut Redmond nach kurzer Pause wieder „voll eingesetzt“. Am Wochenende seien 2.000 Muslime aus den Regionen Banja Luka und Sopovo nach Travnik geflohen, wo das UNHCR ein großes Flüchtlingslager unterhält. Für die kommende Woche rechnet die UNO-Behörde mit 3.000 weiteren Flüchtlingen aus der Region. Es sei zu befürchten, daß nun auch die Muslime aus den Städten Glamoj und Mrkonic von den Serben vertrieben würden.

Redmond zitierte gegenüber den örtlichen UNHCR-MitarbeiterInnen abgegebene Augenzeugenberichte, wonach nun auch alle 30.000 in Banja Luca sowie 2.000 in Prijedor verbliebenen Muslime ihre Heimat verlassen wollten.

Bei den New Yorker Bosnien- Verhandlungen verschärfte Serbenführer Radovan Karadžić seine bisherigen Forderungen. Bei einer dreistündigen Begegnung mit Cyrus Vance und David Owen verlangte Karadžić am Montag abend eine Veränderung der von den beiden Vermittlern ausgearbeiteten Provinzkarte für Bosnien-Herzegowina dergestalt, daß die vorgesehenen drei serbischen Provinzen alle miteinander verbunden sind. Bosniens muslimischer Präsident Alija Izetbegović erklärte Vance und Owen, ohne eine „Neudefinition“ der Bestimmungen zur Kontrolle schwerer Waffen werde seine Delegation das von den beiden Vermittlern vorgelegte Waffenstillstandspapier nicht unterschreiben. Der Präsident teilte mit, daß er aus Statusgründen nicht bereit sei, mit Karadžić sowie dem bosnischen kroatenführer Mate Boban direkt zu verhandeln. Deshalb leite Außenminister Haris Silajdžić die bosnische Regierungsdelegation. Der wiederum wird von Karadžić, der sich selber „Präsident“ der selbsternannten serbisch-bosnischen Republik nennt, nicht als ebenbürtiger Verhandlungspartner anerkannt.

Vance und Owen bemühen sich seit einiger Zeit, den bosnischen Premierminister Mile Akmadžić aufzuwerten. Der Kroate Akmadžić, der bislang als Mitglied der kroatischen Delegation an den Verhandlungen teilnimmt, bestreitet mit zunehmend schärferen Tönen Izetbegovićs Präsidentschaft. Tatsächlich war Izetbegović im Dezember des vergangenen Jahres mit Berufung auf einen Notstandsartikel der bosnischen Verfassung nicht wie vorgesehen zurückgetreten. Der Sprecher von Vance und Owen, Fred Eckhard, wollte auf Anfrage nicht ausschließen, daß die beiden Vermittler darauf abzielen, daß bei einer anhaltenden Weigerung von Izetbegović und Außenminister Silajdžić Premierminister Akmadžić den Vance/ Owen-Plan für die bosnische Regierung unterzeichnet.