Mit Milch das Wasser abgraben

Rigorose Geschäftspraktiken von „Müller-Milch“ jetzt auch in Sachsen/ Wasserversorgung der Region gefährdet  ■ Von Heidi Mühlenberg und Klaus Wittmann

Ursprünglich wollte Müller- Milch ein neues Werk in Brandenburg bauen. Aber das Vorhaben scheiterte an den „unseriösen Geschäftspraktiken der Großmolkerei“, so der Wirtschaftsdezernent von Neuruppin, Jens-Peter Golde. Die in Frage kommenden Standorte seien gegeneinander ausgespielt worden, der Grundstückspreis sollte immer noch weiter gedrückt und schließlich die Umwelt unerträglich hoch mit Abwässern belastet werden. Müller-Milch entschied sich nach dem Flop in Brandenburg für das CDU-regierte Sachsen als neuem Standort. Die Firma führte sich gleich mit einer Massenentlassung in mehreren aufgekauften Molkereien ein und setzte anschließend gekündigte Mitarbeiter gehörig unter Druck.

Unter Druck gesetzt fühlt sich auch der Geschäftsführer der Leipziger Wasserversorgung und Abwasserbehandlung (WAB), Peter Bracher. Der sieht nämlich die Wasserversorgung in der Region um Leipzig durch die Genehmigung für Müller-Milch in Gefahr. Ähnlich wie in Aretsried, wo es massive Schwierigkeiten wegen einer illegalen Wasserentnahme durch Müller-Milch gab und schließlich ein Bußgeld von 375.000 Mark fällig war, pocht die Großmolkerei auch am geplanten neuen Firmenstandort Schönau/ Nenkersdorf im Landkreis Geithain auf eigene Wasserbrunnen. Täglich will der Betrieb 2,8 Millionen Liter Wasser aus 100 Meter Tiefe pumpen.

„Die Menge, die Müller-Milch fördert, geht den kommunalen Werken verloren, denn Müllers Brunnen liegen in der Grundwasserfließrichtung vor den unseren“, ärgert sich der WAB-Chef. Erst vor kurzem haben die Wasserwerke für 30 Millionen Mark ein neues Wasserwerk errichtet, dem jetzt regelrecht durch die Müller- Brunnen das Wasser abgegraben werden soll. Brachers Schlußfolgerung: Die örtlichen Wasserreserven reichen im Falle einer Genehmigung für Müller-Milch nicht für die Versorgung der Bevölkerung. Es müßten neue Wasserreserven erkundet und womöglich sogar eine Fernwasserleitung ins benachbarte Grimma gebaut werden, die rund 12 Millionen Mark verschlingen würde. Bürgerverträgliche Wasserpreise seien dann für den neu zu gründenden Abwasserzweckverband Grimma-Geithain nicht mehr machbar.

Dennoch hat der Wasserversorgungszweckverband Grimma- Geithain am vergangenen Freitag überraschend beschlossen, daß die WAB keine Klage gegen die neue Wassergenehmigung einreichen soll. Die im Zweckverband vertretenen Bürgermeister verzichten freiwillig auf einen aussichtsreichen Prozeß. Offenbar wollen sie verhindern, daß sich Müller-Milch erneut einen neuen Standort sucht.

Der Wasser-Streit war schon einmal der Grund dafür, daß die Molkerei innerhalb Sachsens den Standort für ihr neues, 180 Millionen Mark teures Werk gewechselt hat. Ursprünglich sollte der neue Betrieb in der Nähe von Grimma, direkt an der Autobahn A14, entstehen. Doch Müller wurde dort wegen überzogener Forderungen kein Wasserpumprecht erteilt, erinnert sich der stellvertretende Landrat Ernst Schock, der noch heute den Kopf schüttelt über das unverschämte Auftreten des Milch-Barons. Man sei ja sehr froh über die geplante Ansiedlung und so auch zu weitgehenden Zugeständnissen bereit gewesen, sagt Schock. Immer wieder hätten die Verantwortlichen von Müller- Milch gedroht, sie seien nicht auf den Standort Grimma angewiesen, könnten ja auch woanders hingehen. „Sie müssen ja wissen, wieviel es Ihnen wert ist, wenn wir rund 500 neue Arbeitsplätze schaffen“, haben laut Schock die Müller-Verhandlungsführer immer wieder anklingen lassen. Der stellvertretende Landrat wird damit weit deutlicher als der Wirtschaftsdezernent des Landkreises, der anmerkt, man sei es längst gewöhnt, daß Investoren mit den Arbeitsplätzen, die sie schaffen wollen, hausieren gingen.

Daß die Landkreise oft selbst vor Investoren mit fast unverschämten Forderungen in die Knie gehen, ist bei der hohen Arbeitslosenquote in der Region kein Wunder. Der amtierende Geithainer Landrat Manfred Halm sagt ganz offen: „Unsere ländliche Region ist für Investoren wenig attraktiv. Da zählt jeder Großinvestor, um die Arbeitslosenquote von 20 Prozent abzubauen.“

Empört über die wasserrechtliche Bewilligung für Müller-Milch ist auch die Landwirtschaftsexpertin der Fraktion Bündnis 90/Grüne im sächsischen Landtag, Kornelia Müller. Beschämend sei es, daß sich „das Landwirtschaftsministerium derart zum Handlanger dieser Großmolkerei macht.“ Und völlig baff sei sie gewesen, als auf ihre Anfrage im Landtag Umweltminister Arnold Vaatz zugab, daß notwendige Folgeinvestitionen vom Landwirtschaftsministerium und somit vom Freistaat Sachsen finanziert würden, erzählt die Abgeordnete. Dies widerspreche eindeutig dem sächsischen Wassergesetz. Und außerdem sei es rechtswidrig, daß auch noch vom Landwirtschaftsministerium die notwendigen Ausgleichszahlungen nach dem sächsischen Naturschutzgesetz bezahlt würden. Aber nicht nur indirekt, auch unmittelbar wird Müller-Milch unterstützt: zu den staatlichen Fördermitteln von rund 60 Millionen Mark kommen noch einmal Zuschüsse für Müller- Milch in Höhe von mehreren Millionen Mark hinzu.

In einem Leserbrief in der Leipziger Volkszeitung, die inzwischen wegen ihrer kritischen Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Wasserstreit zahlreiche Klagen der Molkerei am Hals hat, verteidigte Landwirtschaftsminister Rolf Jähnichen die bayerische Skandal-Molkerei. Eigene Grundwasserbrunnen, so der Minister, gehörten nun mal zur Firmenstrategie von Müller-Milch. Und nicht Müller, sondern die WAB verhalte sich unverantwortlich, wenn sie die Firma in Mißkredit bringe. Der CDU-Minister befand in seinem Leserbrief sogar, „daß das Investitionshemmnis WAB Leipzig baldmöglichst aufzulösen ist“. Eine Neustrukturierung der Wasserversorgung sei überfällig.

Daß andere westliche Großmolkereien nicht auf eigenen Brunnen bestehen, zeigt sich zum Beispiel an der Sachsenmilch AG Dresden, an der mehrheitlich die württembergische Südmilch AG beteiligt ist. Das Wasser für ihr 260 Millionen Mark teures Werk bezieht die neue Großmolkerei von den öffentlichen Wasserwerken.

Müller-Milch selbst behauptet, die sächsische Staatsregierung habe die geplante Wasserentnahme genehmigt, nachdem geologische Gutachten und Pumpversuche nachgewiesen hätten, daß ausreichende Wasserreserven für die Molkerei und die Bevölkerung vorhanden seien. Freilich mußte der Umweltminister inzwischen zugeben, daß die Dauerpumpversuche, die nachweisen sollen, wieviel Grundwasser überhaupt zur Verfügung steht, erst von März bis September 1993 durchgeführt werden. Und in der neuen „Wasserrechtlichen Bewilligung“ des Landratsamtes Geithain vom 27. Januar 93 wird unter Punkt 4.13 recht unverblümt vermerkt, was passieren muß, wenn das Wasser nicht ausreicht. Dann nämlich könnten den öffentlichen Wasserversorgern – und nicht Müller- Milch, die bestehenden Nutzungsgenehmigungen entzogen werden. Die Großmolkerei müßte dann lediglich „der widerrufenen Menge entsprechende Ausgleichsmaßnahmen... leisten“ – Ausgleichsmaßnahmen, für die der Freistaat Sachsen aufkommen müßte.

Müller-Milch sieht in den Bedenken der WAB Leizig nur eigennütziges Verhalten. „Sie verliert dadurch einen möglichen Großkunden“, heißt es in einer Pressemitteilung der Großmolkerei. Im gleichen Schreiben weist Müller- Milch Unterstellungen zurück, die Firmenleitung habe mit einem Abwandern nach Polen gedroht, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden. Mit dem Bau des neuen Werkes in Sachsen werde noch im Frühjahr begonnen.

Neben den Klagen gegen die Leipziger Volkszeitung überzieht Müller-Milch auch den Grünen- Abgeordneten Raimund Kamm mit einer Reihe von juristischen Verfahren, jüngst vor dem Landgericht Hamburg. Dort erreichte es das Unternehmen, daß Kamm künftig nicht mehr behaupten darf, bei Müller seien „alle“ Firmenanlagen Schwarzbauten. Dieses Verfahren hat inzwischen allerdings für Müller-Geschäftsführer Gerhard Schützner Folgen. Die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt nämlich gegen ihn wegen des „Verdachts der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung“. Gerhard Schützner hatte nach einer Stern-TV-Sendung, gegen die ebenfalls rechtliche Schritte eingeleitet wurden, erklärt, alle Baurechtsverstöße seien mittlerweile durch erteilte Genehmigungen erledigt. Genau das ist jedoch nach Kamm nicht richtig.

Müller-Milch-Nachbarn in Aretsried haben vor knapp drei Wochen erneut eine Petition im bayerischen Landtag eingereicht, wegen der nach wie vor unerträglichen Geruchsbelästigungen aus dem neuen Becherwerk.