Jungs von nebenan

■ Gewalt gegen Schwule nimmt zu/ Täter sind „ganz normale Jungs“

Bonn (taz) – Angesichts eines von den Hilfsorganisationen verzeichneten deutlichen Anstiegs der Gewalttaten gegen Homosexuelle hat der „Schwulenverband in Deutschland“ (SVD) von der Bundesregierung ein Modellprogramm „Bekämpfung antischwuler Gewalt“ gefordert. Der Schwulenverband in Deutschland (SVD) zitierte gestern in Bonn Umfragen unter Schwulen, wonach bereits fünf Prozent Opfer eines tätlichen Angriffs geworden seien. Eine ähnliche Opferrate in der übrigen Bevölkerung „hätte vermutlich längst zur Bildung von Krisenstäben in Bund und Ländern geführt“, meinte SVD-Sprecher Günter Dworek.

Allein in Berlin registrierte das „Schwule Überfalltelefon“ im letzten Jahr 211 Gewalttaten gegen Schwule, 1991 waren es noch 181 Fälle. Der Schwulenverband rechnet, wie bundesdeutsche Polizeipraktiker, mit einer Dunkelziffer von 90 Prozent.

Die Täter, so Dworek, seien „ganz normale Jungs von nebenan“, fast ausschließlich unpolitische männliche Jugendliche zwischen 15 und 23 Jahren, die sich der Zustimmung der schweigenden Mehrheit gewiß fühlten. Noch immer finden Untersuchungen zufolge 14 Prozent der Bevölkerung Homosexualität „sehr schlimm“, 21 Prozent „ziemlich schlimm“.

Neben einem Regierungsprogramm „Bekämpfung antischwuler Gewalt“ fordert der Schwulenverband auch die „demonstrative Kooperation von Schwulen und Polizei“, denn die Gewalttäter kalkulierten bewußt mit dem Schweigen der Opfer. Die hätten die Ordnungshüter lange Zeit vornehmlich als Verfolger erlebt, manche fürchteten überdies im Falle einer Anzeige Unterstellungen auf der Polizeiwache oder negative Reaktionen im sozialen Umfeld.

Während sich beispielsweise die Behörden in Duisburg und München bislang erfolgreich sträuben, funktioniert anderswo bereits die Zusammenarbeit: In Köln leistet seit zwei Jahren ein gemeinsamer Tisch Aufklärungsarbeit, in Berlin ist ein „Ansprechpartner der Berliner Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ beschäftigt, der sich auch in den eigenen Reihen um Information bemüht. Bernd Neubacher