Spektakel gegen Stolpe-Ausschuß

Bürgerrechtler verweigern unter bitterer Kritik Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuß/ Er nehme „Fakten nicht zur Kenntnis, Akten nicht ernst“  ■ Aus Potsdam Wolfgang Gast

Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley faßt im Getümmel vor dem Sitzungssaal des Postdamer Untersuchungsausschusses ihre Meinung kurz und prägnant zusammen: „Leute wie Helmut Schmidt sind dem Ausschuß wichtiger als die ehemaligen Oppositionellen.“ Wie acht andere Mitglieder der Bürgerbewegung weigert auch sie sich, dem Stolpe-Ausschuß als „Alibi“-Zeugin zur Verfügung zu stehen. Und Wolfgang Templin, wie Ehefrau Regina zur letzten öffentlichen Beweisaufnahme geladen, will sich auch durch etwaige Zwangsmaßnahmen nicht unterkriegen lassen.

Zu diesem Zeitpunkt ist noch nicht geklärt, wie die einzelnen Ausschußmitglieder auf die Zeugnisverweigerung reagieren wollen. Während das FDP-Mitglied Rosemarie Fuchs forsch über rechtliche Maßnahmen in Richtung der zahlreichen Fernsehkameras schwadroniert, hält sich der CDU-Mann Markus Vette eher zurück. Er will lieber „Großzügigkeit“ walten lassen. Schließlich dürfe der „alte Dachdecker“ Honecker in Chile seinen Lebensabend ohne Strafe verbringen, es wäre für ihn „absurd“, jetzt gegen die einstigen DDR-Oppositionellen vorzugehen.

Der Auftritt der Bürgerrechtler gerät zu einem großen Spektakel mit ausgesprochen politischem Hintergrund. Vor dem Sitzungssaal im überfüllten Treppenaufgang schwenken die Geladenen ein Transparent mit der Aufschritt „Das Gauck-Gutachten endlich ernst nehmen“ – womit in der Sache das Verhältnis der früheren DDR-Oppositionellen zum Brandenburger Landesvater eindeutig beschrieben ist. Der Recherchebericht, im Frühjahr letzten Jahres dem Ausschuß übergeben, war zu dem Schluß gekommen, daß Manfred Stolpe nach den Maßstäben der Stasi ein wichtiger Inoffizieller Mitarbeiter gewesen sein muß.

Daß nun vor dem Ausschuß nach nunmehr beinahe einem Jahr der öffentlichen Verhandlungen eher der gegenteilige Eindruck vorherrscht, erbost die früheren Oppositionellen, darunter auch Ralf Hirsch, Lutz Rathenow, das Ehepaar Rub und Eckhart Hübener. In einer gemeinsamen Erklärung halten sie dem Ausschuß Untätigkeit vor. Er nehme „Fakten nicht zur Kenntnis, Akten nicht ernst und versuche, ihre Inhalte umzudeuten“. Die Frage einer Zusammenarbeit mit dem MfS werde auf die „unüberprüfbare Frage einer inneren Bereitschaft zur Zusammenarbeit reduziert“. Die Gauck-Behörde und mit ihr die Anstrengungen zur Aufarbeitung würden diskreditiert.

Die Ausschußarbeit kommt in der Erklärung der Bürgerrechtler schlecht weg. „Was ist herausgekommen?“ fragt Bärbel Bohley und schiebt nach: „Nicht viel. Die Öffentlichkeit erfuhr von lügenden Stasi-Offizieren, die die entscheidenden Akten vernichtet hatten. Ein gutgelaunter Ministerpräsident Stolpe im Amt erläuterte seine vielen heimlichen Treffs in konspirativen Wohnungen, über Jahrzehnte ging das. Er rechtfertigte das Annehmen eines Ordens für besondere Verdienste, vorgeschlagen von Stasi-Minister Mielke.“ Hochrangige Kirchenmänner würden dies rechtfertigen, westdeutsche Politiker „lange Rechtfertigungsreden“ halten – die meisten der Ausschußmitglieder würden lediglich „nickend und ergriffen“ zuhören.

Der Ausschuß vertagt sich, um eineinhalb Stunden später schließlich erneut das Ausbleiben der Zeugen feststellen zu müssen. FDP-Frau Fuchs hat sich zwischenzeitlich durchsetzen können. Beim Kreisgericht Potsdam wird ein Ordnungsgeld gegen Ralf Hirsch – er war der erste auf der Zeugenliste – beantragt. Verkündet wird der Beschluß auf einer improvisierten Pressekonferenz, auf der die Kritik der Bürgerrechtler als „unsachlich“ und „diffamierend“ zurückgewiesen wird. Vom großen Eklat im zu DDR-Zeiten „Kreml“ genannten Gebäude zeugen in Potsdam nur noch plötzlich aufgetauchte Plakate: Kopien des Befehls Mielkes zur Ordensauszeichnung für Manfred Stolpe.