Saddam vergibt „Licence to kill“

■ Vertreibung und Völkermord im Irak ist Fazit des Menschenrechtsberichts der UNO

Genf (taz/ap) – Ein vernichtendes Urteil über die Menschenrechtssituation im Irak hat UNO-Sonderberichterstatter Max van der Stoel abgegeben.

In einem gestern der UNO-Menschenrechtskommission in Genf vorgelegten 120-Seiten-Bericht wirft der ehemalige niederländische Außenminister dem Regime von Saddam Hussein anhaltenden Terror insbesonders gegen die Kurden und Schiiten vor. Andersdenkende und Minderheiten würden „mit grausamer Härte verfolgt“, heißt es. Van der Stoel bezeichnete das Hussein-Regime als „totalitär, extrem chauvinistisch und intolerant“. Der Sonderberichterstatter, den die Menschenrechtskommission nach Ende des Golfkrieges im Frühjahr 1991 eingesetzt hat, plädiert dafür, Hussein auch persönlich für die schweren Menschenrechtsverstöße zu belangen.

In Genf wird nach der jüngsten Grundsatzentscheidung des UNO-Sicherheitsrates zur Einrichtung eines Tribunals über die Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien nicht mehr ausgeschlossen, daß demnächst ein entsprechender Beschluß zum Irak ergeht.

Sonderberichterstatter van der Stoel liegt eine „überwältigende Anzahl von Beweisen“ für willkürliche Erschießungen, Folter und das Verschwinden unliebsamer Personen vor. Militär und Polizei hätten von dem Regime die „ausdrückliche Lizenz zum Töten“. Dabei würde die in jüngster Zeit auch aus Jugoslawien bekanntgewordene Praxis der „ethnischen Säuberung“ ganzer Regionen eingesetzt.

Van der Stoel berichtete, Schiiten aus dem Marschland seien in Gruppen zu 200 zu Todeslagern im Norden Iraks gebracht worden. Hunderte von Menschen würden dort gefangengehalten. Der Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen berief sich auf kurdische Augenzeugen, die Busse mit südirakischen Gefangenen im Norden ankommen sahen und am gleichen Abend noch Schüsse hörten.

Die irakische Regierung hatte die Bewohner des Marschlandes nach einem gescheiterten Aufstand 1991 nach dem Ende des Golfkrieges unter starken Druck gesetzt. Zum Schutz der Schiiten hatten die Golfkriegsalliierten südlich des 32. Breitengrades eine Flugverbotszone errichtet.

Die natürlichen Lebensgrundlagen der Schiiten sowie der Ma'dan im Süden Iraks würden systematisch zerstört, unter anderem durch die Vergiftung von Flüssen oder die Trockenlegung von Sumpfgebieten, bekräftigte van der Stoel gleichlautende Berichte des britischen Observer. Die kurdischen Gebiete im Norden sind laut van der Stoel „von allen Versorgungslinien abgeschnitten“. Auch die Zahl der Vermißten steigt dem Bericht zufolge unaufhörlich. 1992 habe die UNO 5.573 Meldungen an die irakische Regierung weitergereicht.

Meist handelt es sich bei den Verschwundenen um KurdInnen. Verwaltungsdokumente, die nach dem Kurdenaufstand im März 1991 im von Kurden bewohnten Teil des Irak gefunden worden waren, bekräftigen dem UN-Bericht zufolge den Verdacht, daß das Vorgehen der irakischen Armee gegen die KurdInnen zwischen 1987 und 1988 einem Völkermord gleichkommt. Die irakischen Militäroperationen unter dem Namen „Anfal“ hätten darin bestanden, Dörfer systematisch zu zerstören und deren Bevölkerungen auszulöschen oder zu deportieren.

Der Sonderberichterstatter plädiert dafür, die Wirtschaftssanktionen gegen die von Kurden und von Schiiten bewohnten Gebiete im Norden und Süden Iraks aufzuheben. Die Zurückweisung sämtlicher Beschuldigungen wie der vorgelegten Beweise durch das Regime Saddam Husseins bezeichnet van der Stoel als „völlig unglaubwürdig“. Andreas Zumach