Bonner wollen nun ganz schnell Berliner werden

■ Bundestagssitzung im Landtag möglich/ Parlament braucht aber 3.800 Räume

Bonn/Berlin. Neue Dynamik in der Umzugsdebatte: Der Vorschlag von Berlins Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien (CDU), den Preußischen Landtag für den Bundestag zu nutzen, sowie der von CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble, so schnell wie möglich umzuziehen, haben in Bonn und Berlin eine Vielzahl von Reaktionen ausgelöst. Nun wollen auch Ministerien vor dem vom Bundeskabinett anvisierten Termin nach Berlin kommen.

Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU) will noch in diesem Jahr mit einem Zehntel seiner 5.000 Mitarbeiter vom Rhein in die Bundeshauptstadt wechseln. Die aus 500 Mitarbeitern bestehende Kopfstelle könnte seiner Auffassung nach in der Stauffenbergstraße in Tiergarten untergebracht werden. Entwicklungshilfeminister Carl-Dietrich Spranger (CDU) will sich über den Kabinettsbeschluß hinwegsetzen und nicht in Bonn bleiben.

Unklarheiten gab es gestern weiterhin über den Vorschlag von Laurien. Gegenüber der taz sagte der Sprecher der Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Düsing, daß der Plenarsaal des Preußischen Landtags 650 Parlamentariern Platz biete – der Bundestag besteht aus 660 Mitgliedern. Durch ein im Boden eingelassenes Schienensystem sei es ohne Umbauten und ohne Kosten möglich, statt Schreibtischen die benötigten Sitze einzuschieben. 150 Abgeordnete müßten allerdings auf der Tribüne sitzen, Presse und Besucher könnten die Sitzungen dann nur in einem anderem Raum über Fernseher verfolgen. Offenbar ungelöst ist bisher die Frage, wo die Infrastruktur des Bundestages abbleiben soll. In Bonn verfügt der Bundestag über 3.800 Räume mit einer Bürofläche von 128.000 Quadratmetern, die in 90 Gebäuden über die gesamte Stadt verteilt sind. Dazu kommen 80 Sitzungssäle.

Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) äußerte sich gestern nicht zu Lauriens Vorschlag. Gegenüber der taz erklärte ihr Sprecher Hans Leptien, die Präsidentin werde den Vorschlag mit den Fraktionen abstimmen. Der Ältestenrat befasse sich möglicherweise schon in seiner heutigen Sitzung mit dem Thema.

Der Reichstag, in dem später der Bundestag tagen wird, soll rascher und billiger umgebaut werden, als es in dem kürzlich entschiedenen Wettbewerb vorgesehen war. Dafür sprach sich gestern Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) aus, der es für möglich hält, daß deshalb keiner der drei Sieger-Entwürfe realisiert wird. Die Weichen für die weiteren Planungen werden am Freitag und Samstag dieser Woche auf dem „Reichstagskolloquium“ gestellt. Dirk Wildt