Monadisch und selbstherrlich

Al Pacino triumphiert in Martin Brests „Der Duft der Frauen“  ■ Von Yvonne Rehhahn

Im Schatten der Monumental- Biographien von „JFK“ bis „Malcolm X“ gedeihen auch kleinere Ausgaben des Genres. Ex-Lieutenant Colonel Frank Slade alias Al Pacino in Martin Brests neuem Film „Der Duft der Frauen“ ist so einer.

Wenn die Kamera (Donald E. Thorin) das erste Mal Frank Slade ins Visier nimmt, nimmt man nicht mehr als einen vibrierenden Schatten wahr. Hinter einem Lichtstrahl ertönt ein scharfes „Nennen Sie mich nicht Sir“. Frank Slade war Lieutenant Colonel bei der US- Army, er hat unter Lyndon B. Johnson in Vietnam gekämpft. Er war, wie man so sagt, ein Held. Und er hat überlebt – blind. Sarkastisch tyrannisiert er die Familie seiner Nichte, die deshalb lieber das Thanksgiving-Weekend ohne ihn verleben will. Ein intelligenter Betreuer wird benötigt.

Charlie Sims (Chris O'Donnell, sehr bleichgesichtig) ist jung, naiv und aufrichtig. Im Gegensatz zu seinen reichen Mitschülern auf dem Exklusiv-Internat ist Charlie auf ein Stipendium angewiesen. Sein Taschengeld muß er sich nebenbei verdienen. Die erste Begegnung mit Slade schlägt ihn fast in die Flucht. Charlie läßt sich dennoch überreden, vielleicht auch um die Ereignisse im College zu vergessen. Er wurde zufällig Zeuge, wie drei seiner Mitschüler für den verhaßten Direktor einen gemeinen Streich organisierten. Nun soll er die Schuldigen denunzieren.

Das gemeinsame Wochenende des ungleichen Paares wird eine unerwartete Tour de force durch New York City. Dort treibt es Slade hin, um ein großes Finale zu inszenieren, den entsetzten Aufpasser im Schlepptau: Nobelsuite im Waldorf-Astoria, Dinner im Plaza's Oak Room, gehandikapt den letzten Tango tanzen und dann – no long goodbye. Niemand will sein ganzes Leben lang ein „blindes Arschloch“ sein. Regisseur und Produzent Martin Brest („Beverly Hills Cop“, „Midnight Run“) und sein Drehbuchautor Bo Goldman geben in dem Remake von Dino Risis 1974 entstandenem gleichnamigem Film (mit Vittorio Gassmann als blindem Ex-Offizier) ihrem Affen Zucker. Al Pacino spielt nicht nur diesen vergessenen Vietnam-Helden, Lt. Colonel a.D. Frank Slade, er ist Frank Slade.

Mit enormer physischer und schauspielerischer Präsenz (zuletzt schon in James Foleys Spekulantendrama „Glengarry Glen Ross“ zu bewundern) platzt er geradezu aus den Leinwandnähten. Für die Rolle des Colonel erlernte er mühsam wochenlang die tägliche Routine der Blinden. Er ließ sich unterrichten, wie man einen Blindenstock benutzt, wie man telefoniert, sich ein Glas Whiskey einschenkt oder auch nur eine Zigarette anzündet. Das Ergebnis dieser Studien ist ohne Zweifel beeindruckend.

Pacino liefert eine aggressiv gespielte Charakterstudie eines Losers, der samt seines Heldentums ins Dunkle abgestellt wurde. Ein unausstehliches Ekel, monadisch und selbstherrlich, depressiv und lebensmüde brütet er in seinem Haus vor sich hin. Sein bester Freund ist „Jack Daniels“, den er „John Daniels“ nennt, denn wenn man „jemanden so lange kennt wie ich, kann man ihn John nennen“. Slade traktiert seinen verwirrten Begleiter. Charlie (Chris O'Donnell) hält, so gut es geht, trotzig dagegen, errötet, wenn Slade mit zotigen Reden über das Leben im allgemeinen, „einige Leute brauchen für ihr eigentliches Leben nur eine Minute“, und die Frauen im besonderen palavert. Er gibt sich als ihr kennender Verführer, identifiziert und klassifiziert das unsichtbar gewordene Geschlecht am Chanel- No-5-Duft. Mit nervöser Energie forciert Pacino sein Finale.

Aber alles kommt bigger than life. Das gelungene Kammerspiel zwischen Erwachsenwerden auf der einen und tödlicher Resignation auf der anderen Seite gerät ab dem Moment in trudelige Langeweile. Nicht weil der Ex-Held durch die sich anbahnende Freundschaft zu Charlie doch noch gerettet werden kann. Das soll, ja muß so sein im Melodram der Neunziger.

Aber während der anstehenden öffentlichen Verhandlung vor der Schulleitung, in der erwartet wird, daß Charlie Sims seine Kumpels denunziert, zieht der eine ehrenvolle Ausrede vor. Für ihn ein Karriereknick ohne Zweifel. Dann erscheint unerwartet Lt. Colonol Frank Slade und hält eine Rede über die eigentlichen amerikanischen Tugenden. Aus der Aula ertönen eindringliche Worte für die gesellschaftliche Umkehr an die amerikanische Nation. Schnitt, großer Jubel. Im schauerlich-süßen Ahornsirup ertrinkt Martin Brests „Duft der Frauen“ in konventioneller Hollywooddramaturgie. Es ist zum Heulen.

„Der Duft der Frauen“, Regie und Produktion: Martin Brest; Buch: Bo Goldman; D: Al Pacino, Chris O'Donnell. USA 1992.