■ Hilfspakete und Massaker in Ostbosnien: Gezielte Provokation
Noch läßt sich schlecht abschätzen, wie erfolgreich die drei nächtlichen Flugaktionen über Ostbosnien waren. Aber wenn tatsächlich ein Drittel der abgeworfenen Paletten die eingeschlossenen Muslime erreicht haben sollte, wie von amerikanischer Seite offiziell behauptet wird, wären die Hilfsflüge zu begrüßen – auch wenn die übrigen zwei Drittel serbischen Freischärlern in die Hände gefallen sein sollten. Die Truppen Karadžićs haben Cerska, das erste Ziel der Fallschirmhilfe, ohnehin nicht erobert, weil sie der Nahrungsmittel habhaft werden wollten, sondern um den Amerikanern eine lange Nase zu drehen, um der Weltöffentlichkeit zu zeigen, daß man sich einen Dreck um sie schert.
Daß die USA ankündigten, die Hilfsflüge vorübergehend einzustellen, mag die serbische Seite als Erfolg verbuchen. Doch unterbrachen die Amerikaner ihre Operation nicht wegen der Tragödie in Cerska und wohl auch nicht, weil die Hilfskonvoi die eingeschlossenen Orte nun auf dem Landweg wieder erreichen, wie Verteidigungsminister Aspin weiszumachen versucht. Die USA wollen offenbar im Hinblick auf mögliche weitergehende Interventionen schon jetzt neben westeuropäischen Staaten vor allem auch Rußland, das seine künftige Beteiligung an Hilfsflügen umgehend zugesagt hat, ins möglicherweise bald auch bewaffnete Krisenmanagement auf dem Balkan einbinden. Dies scheint um so dringlicher, als die politischen Fronten in Moskau noch nicht geklärt sind und mit einer Schwächung der Position Jelzins die Gefahr einer heimlichen serbisch-russischen Allianz am Horizont auftaucht, die eine Konfliktlösung oder zumindest eine Eindämmung des Krieges auf dem Balkan allemal erschweren würde.
Denn eine begrenzte Intervention von UNO- Kampftruppen, die ein Plazet der Russen und Chinesen im Sicherheitsrat voraussetzt, drängt sich angesichts der dramatischen Lage in Bosnien immer mehr auf. Daß die Serben Hilfskonvois ganz nach Gusto passieren lassen oder aber – was die Regel ist – blockieren, haben sie in den letzten Monaten zur Genüge gezeigt. In weiten Teilen der Dreivölkerrepublik werden die „ethnischen Säuberungen“ fortgesetzt. Im Osten Bosniens rettet sich die Bevölkerung ganzer Dörfer in verschneite Wälder, soweit sie dem Massaker entkommt. Täglich verhungern zur Zeit Dutzende von Menschen, weil eine Soldateska – auf förmliche Anweisung der bosnisch-serbischen Kamarilla um Radovan Karadžić und mit offensichtlichem Einverständnis der serbischen Führung in Belgrad – allen Bemühungen der UNO, die eingeschlossenen Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen, zum Trotz nach Belieben Straßensperren errichtet. Und als ob dies der Brüskierung nicht genug wäre, massakrierte sie nun just jene Menschen, bei denen zum erstenmal seit Monaten überhaupt Hilfsgüter ankamen.
In dieser Situation hat nun auch UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali erstmals einen Einsatz von Kampftruppen erwogen – doch nicht, um Zehntausende von Menschen vor dem Hunger- und Kältetod zu retten, sondern „um ein mögliches Friedensabkommen durchzusetzen“. Um dieses auszuhandeln, weilt der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić, Hauptaspirant für die Anklagebank des von der UNO jüngst beschlossenen Kriegsverbrechertribunals, in New York und faselt von einer serbischen Gegenoffensive, während seine Soldaten die Muslime Ostbosniens aushungern, vertreiben und massakrieren. Deutlicher könnte sich die Ohnmacht der UNO nicht manifestieren. Thomas Schmid
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