■ Der saarländische Ministerpräsident und stellvertretende SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine zum Solidarpakt
: „Kohl muß Kompromisse eingehen“

taz: Herr Lafontaine, der Solidarpakt ist aus den Reihen Ihrer Partei schon mehrfach totgesagt worden. Kommt er nun doch noch?

Oskar Lafontaine: Wir brauchen in ganz Deutschland mehr Investitionen, mehr Beschäftigung und mehr soziale Gerechtigkeit. Dazu konkrete Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern zu treffen ist sinnvoll. Ein Solidarpakt kann natürlich nur zustande kommen, wenn die Bundesregierung sich auf die Vorstellungen der Länder zubewegt. Die Bundesländer sind bereit, für diese Aufgaben auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Aber die Länder wollen offensichtlich in den eigenen Haushalten nicht sparen.

Ein beliebtes Vorurteil: Tatsächlich sparen alle Bundesländer seit Jahren, beim Personal, bei Krankenhäusern und Schulen.

Ist der Kompromiß zwischen den Ländern stabil genug, um die nächste Verhandlungsrunde beim Kanzler zu überstehen? Oder wird Finanzminister Waigel nach bewährtem Muster die Ostländer wieder herausbrechen können?

Jeder Ost-Ministerpräsident, der unsozialen Kürzungen zustimmt, würde zu Hause auf wenig Begeisterung stoßen. Unsere Vorschläge für ein Zukunftsinvestitionsprogramm, die Sanierung industrieller Kerne und eine aktive Arbeitsmarktpolitik sind geradezu auf die Ostländer zugeschnitten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die ostdeutschen Ministerpräsidenten gegen die Interessen der Menschen stimmen, die sie zu vertreten haben.

Die Länder haben sich für Steuererhöhungen vor 1995 ausgesprochen. Gift für die Konjunktur, sagt Theo Waigel.

Auch Waigel ist für Steuererhöhungen vor 1995: die Mehrwertsteuer- und Versicherungssteuererhöhung 1993, für eine Vignette und die Mineralölsteuererhöhung 1994. Gift für die Konjunktur ist, wenn nichts getan wird für mehr Investitionen und mehr Beschäftigung. Wenn man alle Faktoren gewichtet, ist unser Vorschlag – die Ergänzungsabgabe für Höherverdienende – konjunkturpolitisch am besten. Insgesamt steigert unser Konzept die Nachfrage. Denn die bei den hohen Einkommen abgeschöpften Mittel, die nicht in den Konsum, sondern in die Sparquote gehen, werden für Investitionen und Beschäftigung eingesetzt.

Die Aussage der Länder ist aber von schöner Allgemeinheit. Sie sagt „ja“ zu Steuererhöhungen, aber ohne die Beschränkung auf die Besserverdienenden, wie es die SPD fordert.

Wir brauchen sofort mehr Mittel für den Arbeitsmarkt und für mehr Investitionen.

Wird denn die SPD Steuererhöhungen mittragen, die nicht nur die Besserverdienenden treffen?

Wir werden nur einer Finanzierung zustimmen, die sozial ausgewogen ist.

Wo sind die sozialdemokratischen Kompromißgrenzen eher erreicht? Bei den Sozialkürzungen oder bei den Einkommensgrenzen für mögliche Steuererhöhungen?

Die SPD hat drei Hauptforderungen zum Solidarpakt. Erstens: mehr Investitionen und mehr Beschäftigung für den Aufbau Ost und den Aufschwung in ganz Deutschland. Zweitens: mehr soziale Gerechtigkeit bei der Finanzierung der Einheit. Drittens: keine weiteren Kürzungen zu Lasten der sozial Schwächsten. Soll es eine Einigung geben, muß die Bundesregierung in diesen Punkten Kompromißbereitschaft zeigen.

Sehen Sie überhaupt Einigungschancen? Die Bundesregierung hat sich sehr eindeutig gegen Steuererhöhungen vor 1995 festgelegt. Auch FDP-Chef Lambsdorff läßt keinen Tag vergehen, ohne dagegen zu wettern.

Auch die Bundesregierung ist für Steuererhöhungen 1993 und 94. Sie müssen nur einmal lesen, was sie vorschlägt. Herr Lambsdorff hat auch 1990 täglich wiederholt, es gäbe keine Steuererhöhungen. Danach hat man das größte Steuer- und Abgabenerhöhungspaket der letzten Jahrzehnte beschlossen. Ob es zur Einigung kommt, hängt jetzt ganz von der Bundesregierung ab. Kohl und Waigel müssen sich bewegen, nachdem die Länder einen gemeinsamen Vorschlag gemacht haben.

Sie haben in letzter Zeit angemahnt, die Ökologie dürfe nicht fehlen. Aber konkrete Vorschläge für die ökologische Dimension beim Solidarpakt sehen wir nicht, abgesehen von einigen Investitionen in Klärwerke und ähnliches.

Abgesehen von? Das akzeptiere ich nicht. 100 Milliarden Mark in den nächsten zehn Jahren für die ökologische Modernisierung der Infrastruktur im Osten, das ist keine Bagatelle. Dies ist auf Vorschlag der SPD von den Bundesländern beschlossen worden.

Und der Einstieg in die ökologische Steuerreform?

Das ist die Forderung der SPD. Dabei geht es nicht um Einnahmeverbesserungen für die Staatskasse, sondern um eine andere Steuerstruktur. Die einfache Formel lautet: Mehr Steuern auf den umweltschädlichen Energieverbrauch, weniger Steuern auf die Arbeit.

Sie glauben doch selbst nicht daran, daß das im Rahmen des Solidarpakts zustande kommt.

Wenn man solche Forderungen nur an den jeweils nächsten Termin hängt, wäre das kurzatmig. Es muß auf jeden Fall zu einer ökologischen Wende in Deutschland kommen, gerade auch wegen des Zusammenbruchs der Industriestruktur im Osten. Die neuen Bundesländer liegen zwischen Niedriglohnländern im Osten und dem Hochproduktivitätsgebiet der westlichen Bundesländer. Wenn der Osten wettbewerbsfähig sein will, muß dort also etwas gemacht werden, was es woanders noch nicht gibt: ökologisch moderne Industrien. Deshalb ist die ökologische Erneuerung von Infrastruktur und Produktion auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft.

Wenn wir uns die Ländervereinbarung zu diesem Thema ansehen, dann ist Ihre Forderung doch wohl eher eine Profilierungsflagge. Die SPD, Solidarpakt-Koordinator Lafontaine eingeschlossen, macht den Eindruck, als wolle sie den Solidarpakt erst mal unter Dach und Fach bringen und dann sehen, wie man mit ökologischen Vorschlägen vielleicht wieder anfängt.

Ich verweise noch einmal auf das 100-Milliarden-Zukunftsinvestitionsprogramm. Aber ich will auch nicht bestreiten, daß – quer durch alle Parteien – viele die Ökologie zwar verbal hochhalten, daß sie diese Versprechen bei praktischen Entscheidungen aber nicht immer einlösen. Ich ziehe mir diesen Schuh jedoch nicht an. Ich werde weiter beharrlich auf die ökologische Modernisierung hinarbeiten.

Die Grünen würden dieser Selbsteinschätzung laut widersprechen und auf Ihre Zustimmung zu den Beschleunigungsgesetzen und der Technischen Anleitung Siedlungsabfall verweisen.

Bei diesen zwei Fragen liegen die Grünen grundfalsch. Es ist ökologisch nicht vertretbar, daß Müllbeseitigungsanlagen eine Vorlaufzeit von zehn bis fünfzehn Jahren haben. Das Vorziehen von hochmodernen Investitionen auf diesem Gebiet ist richtig. Das gilt grundsätzlich für alle modernen Industrieanlagen. Sie sind unter Umweltgesichtspunkten durchweg akzeptabler als die alten. Bei der Technischen Anleitung Siedlungsabfall liegen die Grünen ebenfalls daneben. Natürlich kann man einwenden, daß bei der thermischen Behandlung des Mülls eine Umweltbelastung eintritt. Ausgasungen gibt es aber auch bei Mülldeponien. Es kommt auf die Gesamtbilanz an. Es gibt prinzipiell keine umweltunschädliche Entsorgung des Mülls. Wer den Leuten das sagt, macht ihnen etwas vor.

Zurück zur Öko-Steuer. Im letzten Wahlprogramm war Ihre Reform für die Wähler noch schmackhaft: Im Gegenzug zur höheren Benzin- und Energiesteuer sollten Löhne und Einkommen steuerlich entlastet werden. Dafür gibt es heute keinen Spielraum mehr. Ist die Öko-Steuer sozial zu unverträglich geworden, und spricht die SPD deshalb nicht mehr so gern darüber?

Nein. Unsere Vorstellung, die höhere Energiesteuerbelastung durch Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer voll zurückzugeben, können wir heute angesichts des enormen Finanzbedarfs zwar nicht mehr durchhalten. Aber eine ökologische Umorientierung brauchen wir trotzdem.

Mit dem Ruf nach einer ökologischen Dimension des Solidarpakts stehen Sie ziemlich allein. SPD-Fraktionschef Klose warnt davor.

Das sind nur scheinbar Kontroversen. Wenn man unter Solidarpakt versteht, daß Bund und Länder an einem Tag zusammenkommen, dann muß man davon ausgehen, daß nicht alles an diesem einen Tag entschieden wird. Das hat Klose gemeint. Wenn der Solidarpakt aber auf längere Frist gedacht wird, dann kann die ökologische Erneuerung nicht ausgeklammert werden. Der Einstieg in die ökologische Steuerreform ist notwendiger den je.

Das Wahlkampfthema der SPD?

Ja. Nach wie vor. Ich will nicht abstreiten, daß zu Zeiten größerer sozialer Spannungen, in der Rezession, die wir jetzt erleben, das konservative Denken in allen Parteien dazu neigt, ökologische Reformen nach hinten zu stellen. Für das Überleben der Menschheit ist aber die ökologische Erneuerung die zentrale politische Aufgabe. Sie ist auch ökonomisch und sozial geboten. Interview: Tissy Bruns,

Hans-Martin Tillack