Aufstand gegen das Mittelmaß

■ Brasiliens Präsident Franco enttäuscht Hoffnungen auf einen Neuanfang/ Wirtschaftspolitik ohne Konzept

Rio de Janeiro (taz) – Die Schonzeit von Brasiliens Präsident Itamar Franco ist abgelaufen. Fünf Monate nach dem erzwungenen Rücktritt von Fernando Collor wegen Korruption ist die Hoffnung der Brasilianer auf einen politischen Neuanfang erneut bitter enttäuscht worden.

Ausgelöst wurde die Unzufriedenheit durch den Verschleiß von drei Wirtschaftsministern in nur fünf Monaten. Der Rücktritt von Wirtschaftsminister Paulo Haddad und die Ernennung Eliseu Resendes zu seinem Nachfolger zu Beginn der Woche brachten das Faß zum Überlaufen. Denn Präsident Itamar Franco stimmte die Nominierung nicht mit Fachleuten und, wie allgemein üblich, mit dem brasilianischen Kongreß ab, sondern entschied sich für einen persönlichen Vertrauten.

„Wir haben Präsident Collor nicht die Macht entzogen, um uns danach dem Mittelmaß von Itamars Freunden zu unterwerfen“, wettert Jos Genoino, Abgeordneter der Arbeiterpartei PT. Die Regierung sei ein Desaster für Arbeitnehmer, progressive Parteien und demokratische Institutionen. Mario Covas, Fraktionsführer der Sozialdemokraten (PSDB) im Senat, schlägt in die gleiche Kerbe: „Die Episode Haddad war extrem negativ und begünstigt die Opposition.“

Der Zorn der Parlamentarier, bei der Auswahl des wichtigsten Ministers übergangen zu worden sein, mischt sich mit der berechtigten Sorge um die Qualifikation des neuen Wirtschaftsministers. Der 64jährige Eliseu Resende ist kein Wirtschaftswissenschaftler, sondern wie Itamar Franco Ingenieur. Während der brasilianischen Militärdiktatur war er sieben Jahre lang für den nationalen Straßenbau verantwortlich. Zu seinen bekanntesten Bauten zählt die „Transamazonica“, die umstrittende Straße quer durch den brasilianischen Regenwald. Der verschwenderische Umgang mit öffentlichen Geldern trug ihm 1975 sogar eine Rüge des brasilianischen Bundesrechnungshofes ein.

Beim Kampf gegen die Inflation, die mittlerweile 30 Prozent im Monat ausmacht, sind das keine guten Voraussetzungen. Das enorme Haushaltsdefizit ist durch die Subventionen der Regierung für die Autoindustrie und die Förderung des bereits totgesagten Alkoholprogrammes weiter gestiegen. Die Steuereinnahmen hingegen sind wegen der anhaltenden Rezession gesunken.

Die Absicht Präsident Francos, durch Sozialprogramme das grassierende Elend eines großen Teiles der brasilianischen Bevölkerung zu lindern, wird das Loch im Haushalt zusätzlich vergrößern. Auch Francos Weisung an den neuen Wirtschaftsminister, die Zinsen zu senken, ist zwar gut gemeint, doch äußerst gefährlich. Denn um die enorme Inlandsschuld zu finanzieren, ist die Regierung gezwungen, die Schuldentitel mit hohen Zinsen attraktiv zu machen, ansonsten würden die Anleger auf andere Aktiva wie Dollar oder Gold ausweichen. Dies bedeutet in der Praxis Hyperinflation.

Die Möglichkeit, dem Beispiel Argentiniens zu folgen und die Löcher im Staatshaushalt mit den Einnahmen aus der Privatisierung von Staatsbetrieben zu stopfen, hat Franco bereits abgeschrieben. Er ließ das von Ex-Präsident Collor entworfene Privatisierungsprogramm zunächst für vier Monate auf Eis legen.

Durch die undiplomatische Auswahl des neuen brasilianischen Wirtschaftsministers könnte nun auch die letzte Einnahmequelle, eine durchgreifende Steuerreform, versiegen. Der Entwurf liegt dem Kongreß bereits seit Monaten vor. Doch die zuvor eindeutige Mehrheit für die Regierung ist nun ins Wanken geraten. PT-Abgeordneter Paulo Delgado bringt die Enttäuschung der Linksparteien über Francos Regierungsstil auf den Punkt: „Solange die zusätzlichen Gelder von einer Mitte-links-Regierung verwaltet werden, ist alles okay. Gelder für die Rechten – niemals.“ Astrid Prange