"Spike Lee hat Malcolm verwässert"

■ Interview mit dem schwarzen Bürgerrechtler und „Nachlaßverwalter“ von Malcolm X, Amiri Baraka

taz: Warum ist Malcolm X heute wieder so populär bei jungen Afroamerikanern?

Amiri Baraka: Weil in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation in Amerika andere schwarze Führer nicht mehr brauchbar sind. Die herrschende Klasse hat das Bild von Martin Luther King (MLK) völlig verzerrt, und heute sieht es so aus, als ob MLK friedliche Koexistenz mit Rassismus gepredigt hätte. Man will uns einreden, daß MLKs Vermächtnis Leute wie Colonel Powell oder Clarence Thomas und ähnliche Schwachköpfe sind. Darum sucht unsere Jugend nach einem überzeugenderen schwarzen Vorbild, nach einer gezielten Konfrontation mit dem spezifischen amerikanischen Rassismus. So kommen sie fast automatisch zu Malcolm, der am Ende seines Lebens nicht nur gegen den Rassismus gekämpft hat, sondern weiterging und sich gegen den Kapitalismus wendete. All das kommt bei Spike Lee nicht vor, er hat Malcolm verwässert. Er hat die revolutionärsten Reden und Aspekte seines Lebens weggelassen...

Besonders nach seiner Reise nach Mekka ...

Genau, bei Spike Lee sieht es so aus, als sei das Wichtigste an Malcolm X gewesen, daß er erkannt hat, daß der „weiße Mann“ kein Teufel ist. Das hieße, daß er einige Erkenntnisstufen unter Martin Luther King stehengeblieben wäre, eine Art MLK im Westentaschenformat. Dabei ist er doch nicht nach Afrika gefahren, um sich die Pyramiden und die Sphinx anzugucken, wie es bei Spike Lee aussieht, sondern um die großen afrikanischen Revolutionäre dieser Zeit, Nasser, Nyerere, Toure und Nkrumah, zu treffen. Daß er buchstäblich zu deren Füßen gesessen hat, um herauszufinden, wie es weitergehen sollte, nachdem er die „Nation of Islam“ verlassen hatte, war für die amerikanischen Schwarzen ungeheuer wichtig. Damit hat er alle afroamerikanischen Gruppen dieser Zeit inspiriert.

Warum, glaubst du, hat Lee das weggelassen?

Entweder er weiß nichts davon, oder er ist ein übler Opportunist.

Spike Lee hat gesagt, daß sein Film eine Geschichtsstunde sein sollte. Hat er dieses Ziel erreicht?

Nein, überhaupt nicht. Wenn man einen Film über die amerikanische Bürgerrechtsbewegung machen will, muß man auch über die USA als solche reden und über FBI und CIA. Der CIA hat über Malcolm 150.000 Seiten Akten.

Im Film sieht es so aus, als habe die Nation of Islam Malcolm umgebracht, nachdem er sich von ihnen losgesagt hat.

Zur Untermauerung dieser Legende ist der Film doch gemacht worden! Malcolm X ist tot, aber die Nation of Islam gibt es noch und gegen die richtet sich der Film.

Sie haben die „United Front to preserve the Legacy of Malcolm X“ gegründet.

Ja, wir veröffentlichen Informationen über Malcolm X, um den Film richtigzustellen. Wir wollten nicht schweigend zusehen, wie Lee einen Film über Malcolm macht, damit ein paar Mittelschichtsneger besser schlafen können. Die Interviews führten Cristina Lombardi und Tilman Baumgärtel