„Ein schwarzer Kino-Übervater“

■ Interview mit Hazel Carby, Kuratorin der Afro-American Film Collection an der Yale-Universität

taz: Versucht Spike Lee, Malcolm X zu einem schwarzen Kinohelden zu machen, wie er im amerikanischen Kino nicht vorkommt? Kein Actionheld, kein Zuhälter oder Dealer wie in den „blaxploitation“-Filmen?

Hazel Carby: Spike Lee wollte uns einen schwarzen Kino-Übervater geben. In den USA haben wir jetzt diese ganze Debatte über das Auseinanderbrechen von schwarzen Familien, über afroamerikanische Männer als eine vom Aussterben bedrohte Spezies, die Situation von Schwarzen in den Großstädten, die Gangs. Dagegen wollte er wohl eine schwarze Vaterfigur für alle Afroamerikaner setzen. Darum ist auch dieser ganze patriarchale Quatsch bei den Black Muslims für ihn total unproblematisch.

Spike Lee wollte einen pädagogischen Film machen. Glauben Sie, daß er seine didaktischen Ziele erreicht hat?

Es hat in der letzten Zeit eine Reihe von bewußt pädagogischen Filmen gegeben, die auf die gegenwärtige Krise der amerikanischen Gesellschaft reagieren. Das erfordert ein sehr aufmerksames Beobachten der aktuellen Situation. Spike Lee arbeitet aber immer noch mit Ideen, die die Diskussion in der schwarzen Kultur für Jahrzehnte bestimmt haben. Dieses Bemühen, sich als Afroamerikaner öffentlich darzustellen, geht im Grunde bis zur Harlem-Renaissance in den zwanziger Jahren zurück. Seither kämpfen wir darum, uns einen Platz in der Literatur zu verschaffen, in der Filmindustrie oder an den Universitäten. Spike Lee versteht nicht, daß sich in der gegenwärtigen Situation schwarze Kultur einfach gut verkauft, und er deswegen diesen Film machen durfte. Das Problem ist nur, daß keine Beziehung mehr zwischen der kulturellen Repräsentation von Schwarzen und deren Lebensumständen besteht. Wir haben Filme, wir sind im Fernsehen, andererseits leben viele Afroamerikaner unter Bedingungen wie in der Dritten Welt.

Warum kann man jetzt einen Film über Malcolm X machen – und nicht vor zehn Jahren?

Das ist genau das Beunruhigende an diesem Film. Auf einmal kann man diesen Film machen, auf einmal gibt es an den Unis multikulturelle Lehrpläne, auf einmal gibt es diese ganzen Bücher über afroamerikanische Kultur, aber gleichzeitig nimmt die Segregation zwischen schwarzen und weißen Amerikanern ständig zu.

Also können Filme wie „Malcolm X“ gar nichts erreichen?

Könnten Sie schon, wenn sie etwas aggressiver wären. Sie dürften aber „Malcolm X“ nicht nur als großen Schwarzenführer darstellen, sondern das auch mit der tatsächlichen Segregation heute in Zusammenhang bringen. Statt dessen endet der Film mit Nelson Mandela, und es sieht so aus, als ob es Rassentrennung nur in Südafrika gibt. Malcolm Xs politische Philosophie war am Ende auch eine Kritik des Kapitalismus, weil er erkannt hat, daß es für die Existenz der USA absolut zentral war, daß wir unterdrückt werden. In diesem Film hätte man auch diese Unterdrückung, die seither nicht aufgehört hat, ansprechen können.